Wer heute durch Ottensen schlendert, sieht Cafés, kleine Läden, Kopfsteinpflaster – und mit etwas Aufmerksamkeit auch Spuren von Schienen in diversen Hinterhöfen und Grundstückszufahrten.
Die meisten Hamburgerinnen und Hamburger gehen achtlos vorbei, aber diese Gleisreste erzählen eine spannende Geschichte – von einer Art Güterstraßenbahn, die sich auf Schmalspurgleisen durch die engen Gassen schlängelte. Die breiteren Güterwagen der Bundesbahn wurden dafür huckepack genommen. Was die Bahn besonders machte: Aus Kostengründen hat man auf Lokomotiven verzichtet. Die Züge wurden stattdessen von Lastwagen gezogen.

Hier erzählen wir die Geschichte dieser kuriosen Ottensener Industriebahn und zeigen viele einzigartige Fotos von einst und heute.
Kohlensäure fährt im Bahnwaggon durch Ottensen
Ein Frühjahrstag 1976 in Hamburg-Altona an der Barnerstraße, Ecke Bahrenfelder Straße, nahe dem Kulturzentrum FABRIK. Der NAHVERKEHR HAMBURG-Leser Rainer Dodt steht als junger Student vor dem Schnapsladen Fölsch. Aushilfsweise fährt er für den Besitzer Waren aus.
Kurz vor Feierabend kommt es zur Zufallsbegegnung: Ein Mann sichert plötzlich mit einer Flagge in der Hand die Barnerstraße ab und kurz danach rumpelt ein riesiger Eisenbahn-Tankwaggon vom Gelände der FABRIK auf die Straße. Der Wagen wird von einem roten Lastwagen an einer Stange gezogen und ist deutlich höher als normale Eisenbahnwaggons. Er steht aufgebockt auf Schmalspurrädern, denn das Gleis, das sich durch die Barnerstraße zieht, ist mit einer Spurweite von nur einem Meter deutlich schmaler als normale Bahngleise.
Geistesgegenwärtig zückt Dodt seine Kamera, die er an diesem Tag zufällig dabei hat. Und so hält er für die Nachwelt fest, wie das…
5 Antworten auf „Als Güterzüge von Lastwagen mitten durch Ottensen gezogen wurden“
Lieber Christian Hinkelmann,
vielen Dank für den Beitrag zur Ottenser Industriebahn. Das war mal eine richtig umfangreiche Einzelwaggonzustellung – wie sie S.Nikuta von DB Cargo gerne wieder einführen würde, aber das kann man wohl knicken unter den heutigen Bedingungen. Neben dem Nord- und Nordnetz der Industriebahn gab es in Bahrenfeld/Ottensen übrigens noch ein drittes großes Netz, nämlich das der Bahn in Normalspur. Einiges ist auf der Skizze zu sehen, aber mit einem größeren Ausschnitt würde man das gesamte Netz sehen. Auch an diesem Netz waren große (Margarine Union z.B.) und viele kleinere Unternehmen angeschlossen. Vor diesem Hintergrund und aus ökologischen Gründen (Güterverkehrs“wende“?) wäre es interessant zu recherchieren, wo in Hamburg und näherer Region überhaupt noch Unternehmen einen Gleisanschluß NUTZEN (nicht nur einen haben, den sie nicht benutzen, wie CocaCola hier in Lüneburg) oder wieviele Unternehmen statt eines eigenen Gleisanschlusses den Terminal in Billwerder nutzen.
Danke für den sehr schönen Bericht über die Industriebahn die ich noch mit vielen Facetten erlebt habe. Zwei Rollböcke auf einem kurzen Meterspur Gleisstück sind am
Museumsbahnhof Schönberger Strand des VVM erhalten und derzeit am
Bahnsteiganfang ausgestellt.
Tolle Fotos und ein toller Artikel.
Culemeyer Straßenroller waren bis in die 70er Jahre in ganz Hamburg oft zu sehen. In Rothenburgsort war z.B. die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ein Stammkunde. Für uns als Kinder immer ein Highlight, wenn die Kaelble Zugmaschine mit dem Culemeyer und Kesselwagen durch die Straßen fuhr.
Ich habe auch noch einen ca. 7minütigen Schmalfilm von 1981 von den letzten Einsätzen in der Ruhrstraße und der Borselstraße.
Außerdem hat das Stadtteilarchiv Ottensen eine Sammlung meiner Fotos aus 1981 übernommen.
Danke für den interessanten Artikel. Da kann ich nur neidisch werden, wie dort das Erbe gepflegt wird. In meinem Bezirk der Autos, Autos, Autos und Busse*, Busse*, Busse* (* = MAN-Dieselbusse) gibt es fast keine Erinnerung mehr an die Wandsbeker Industriebahn und auch nicht an die „normale“ Straßenbahn. Es gibt nur drei Stellen, von denen ich auch schon Fotos in der HN&HB gezeigt hatte. Für die WIB ist das eine recht versteckte Infotafel am Ohly-Werk und ein kleiner Gleisrest an einem Werkstor in der Helbingstraße, bei dem man aber sehr genau hinschauen muss, um ihn zu finden. Von der Straßenbahn sieht man nur noch zufällige Pflasterspuren der Zwischenwendeschleife in der Eichtalstraße, aber nicht als bewusste Erinnerungsgestaltung, wie in Ottensen oder in der Straßburger Straße. Bei der nächsten autogerechten Straßensanierung werden die bestimmt beseitigt werden.