Das Ergebnis der Hamburger Bezirkswahlen am Sonntag spricht eine deutliche Sprache: Keine Partei hat so stark verloren wie die Grünen. Der Höhenflug von vor fünf Jahren hat sich in einen Sturzflug verwandelt.
Zwar hat die Politik der Berliner Ampel-Koalition sicherlich ihren Anteil an diesem Ergebnis, doch allein erklärt sie die schlechten Werte auf Bezirksebene nicht. Vielmehr dürfte in diesen Zahlen auch eine große Portion Unzufriedenheit mit der grünen Senatspolitik in Hamburg mitschwingen – einschließlich der Leistung von Verkehrssenator Anjes Tjarks.
Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, daraus zu schließen, dass ein Großteil der Hamburgerinnen und Hamburger die hauptsächlich von den Grünen vorangetriebene Verkehrswende plötzlich entschieden ablehnt und nichts mehr von weniger Autoverkehr, breiten Radwegen und einem besseren ÖPNV wissen will. Denn der überraschende Erfolg einer bisher kaum bekannten Kleinpartei lässt eine andere Interpretation zu: Vielen Menschen geht die Mobilitätswende in der Hansestadt möglicherweise nicht schnell genug voran.
Die Kleinpartei, um die es geht, heißt Volt. Eine pro-europäische Partei, die es in Deutschland erst seit sechs Jahren gibt und die sich für eine Stärkung der EU, mehr Klimaschutz, konsequente Digitalisierung und eine nachhaltigere sowie sozialere Mobilität einsetzt. Volt ist vor allem bei jungen Menschen und in Großstädten beliebt und trat am vergangenen Sonntag zum ersten Mal bei einer Hamburger Bezirkswahl an, in fünf der sieben Bezirke. In allen diesen Bezirken erzielte Volt auf Anhieb starke Werte zwischen fünf und sechs Prozent.
Grüne bekommen Verkehrswende-Konkurrenz
Ein Blick in die Bezirkswahlprogramme von Volt zeigt, dass die Partei besonders beim Thema Verkehrswende den Grünen Konkurrenz macht und in einigen Forderungen sogar noch weiter geht: Weniger Autoverkehr, Einführung einer City-Maut, mehr Tempo-30-Zonen, breitere Rad- und Fußwege, mehr emissionsfreie Busse sowie den Ausbau von U- und S-Bahn – und das alles möglichst „schnell“, „massiv beschleunigt“ und in „deutlich mutigeren Schritten“. Sogar eine Straßenbahn schlägt Volt in seinem Wahlprogramm vor, wenn auch verklausuliert. Mit diesen Forderungen positioniert sich Volt als Alternative für alle, die das Tempo der Grünen bei der Verkehrswende als zu langsam empfinden – und das offenbar mit Erfolg.
Das starke Abschneiden von Volt könnte auch Auswirkungen auf die weitere Verkehrspolitik in den einzelnen Hamburger Bezirken haben. Denn auch wenn die Grünen dort durchweg Stimmen verloren haben, besteht dank Volt die Möglichkeit, dass die Kräfteverhältnisse in den Bezirksversammlungen beim Thema Verkehrswende weitgehend erhalten bleiben. In vier Bezirken ist dies sehr wahrscheinlich. In drei weiteren Bezirken deuten sich dagegen Kurswechsel in der Verkehrspolitik an – hin zu weniger Radwegeausbau und mehr Platz für Autos. Auf den Ausbau des ÖPNV in Hamburg dürfte die Bezirkswahl übrigens kaum Auswirkungen haben, denn die meisten Entscheidungen dazu finden allein auf Senatsebene statt.
Lesen Sie hier in unserer Analyse, was die Ergebnisse der Hamburger Bezirkswahl 2024 für die Verkehrspolitik in den einzelnen Bezirken bedeuten.
Bezirk Altona
Die Grünen bleiben im Bezirk Altona trotz erheblicher Verluste stärkste Kraft mit 27,6 %. Das vorläufige Ergebnis der Stimmauszählung zeigt, dass die Grünen vor allem in Ottensen, Altona-Nord und im Schanzenviertel dominieren. In den äußeren Stadtteilen wie Osdorf, Nienstedten und Blankenese liegt hingegen die CDU vorne. Zweitstärkste Kraft im Heimatbezirk von Bundeskanzler Olaf Scholz ist die SPD mit 21,6 %, gefolgt von der CDU (18,0 %), der Linken (12,8 %) und der FDP (7,6 %). Auffällig ist, dass die junge Partei Volt, die erstmals zur Bezirkswahl angetreten ist, aus dem Stand heraus 5,6 % der Stimmen erzielt und damit knapp vor der AfD (5,5 %) liegt.
Für die Verkehrspolitik im Bezirk bedeutet das Ergebnis, dass die Grünen ihre bisherige Agenda zur Verkehrswende wohl weitgehend fortsetzen können. SPD und CDU, die den Autoverkehr stärker betonen, haben in der Bezirksversammlung keine Sitze hinzugewonnen. Rückenwind dürften die Grünen zudem von Volt bekommen, die …
11 Antworten auf „Analyse: Das bedeuten die Bezirkswahlen für die Hamburger Verkehrspolitik“
Die Analyse ist unterkomplex, weil sie nur Wahlergebnisse und BV-Mandate summiert, aber nicht darauf eingeht, welche Mehrheiten es vorher gab und wer mit welcher Linie das Bezirksamt führt.
Hanebüchen wird es dann in Mitte: Hier waren die Grünen absolut gar nicht an der Bezirkskoalition beteiligt, daher kann das Fazit “Eine Kehrtwende in der Verkehrspolitik ist daher nicht zu erwarten.” nicht nur nicht gezogen werden, weil die künftige Koalition unklar ist, es geht ja auch von der falschen Basis aus: Verkehrspolitik in Mitte haben SPD, CDU und FDP gemacht. Grüne hatten dort keinen Einfluss in den letzten fünf Jahren.
Der Artikel erreicht das sonst starke Niveau von Nahverkehr-Hamburg Seite nicht.
Das Wahlergebnis ist ein klares Votum für eine ANDERE Verkehrswende! Wenn Volt wirklich Veränderung will, dann werden sie in den Bezirken gerade nicht die alte, festgefahrene Verkehrswende-Ideologie unterstützen sondern hinterfragen! Mit weniger Ideologie für mehr und schnellere Ergebnisse ist Volt bereits in anderen Städten unterwegs.
Rot-Grün hat sich dagegen in Pfadabhängigkeiten verstrickt. Hoher CO2-Ausstoß und Milliardenausgaben für Megaprojekte, Jahrzehnte Baustellen-Chaos, kaum echte Verbesserungen vor 2033. Versprochen waren einmal hohe CO2-Einsparungen schon LANGE VOR 2030.
Rot-Grün fehlten bisher Wille und Anreiz für einen Reallitätscheck bei der Verkehrswende weil sie die Klima-Wähler sicher glaubten. Vorbei. Überzeugt Volt in den Bezirken, wird 2025 ein Wechsel im Rathaus möglich mit mehr Klimaschutz und eine Verkehrswende-Wende.
Wenn ich das Wort “Ideologisch” schon höre, wird mir schlecht. Alles oder nichts ist ideologisch, warum wird so inflationär vor allen Dingen aus konservativer Richtung darauf rumgeritten. Selbstverständlich vertreten diese auch eine Ideologie. Zu Ihrem Kommentar: Ja, es wäre schön, wenn es eine richtige Verkehrswende gäbe, aber in Hamburg blockiert die SPD doch wo sie nur kann (z.B. in vielen Teilen die Innenbehörde oder die unsägliche Einflussnahme der Polizei in vielen Verkehrsangelegenheiten). Nicht umsonst ist die SPD die CSU des Nordens. Wären mehr progressive Kräfte auf Seiten der SPD wären wir auch schon viel weiter. Aber man lässt sich ja auch gerne von schnell gebildeten Bürgerinitiativen vereinnahmen, die so tun als würden ihre Partikularinteressen (“aber die Parkplätze”…) immer die alleinige Meinung sein. Wären wir doch so mutig wie Anne Hidalgo in Paris.
Vielen Dank für die Aufbereitung der Wahlergebnisse unter verkehrspolitischen Aspekten.
Ich möchte hier auf meinem Bezirk Wandsbek eingehen. Es sind nur die “klassischen” Parteien zur Wahl angetreten, also die, die bereits in der BV vertreten waren, weder Volt noch BSW oder Kleinstparteien. Interessant finde ich weniger den Abrutsch der Grünen (außer im zentrumsnahen, bestens mit Schnellbahnen erschlossenen Stadtteil Eilbek, dem einzigen noch verbliebenen “grünen”), sondern, dass die Linke bei uns nur minimalste Verluste hatte. Und das bei einer Verkehrspolitik der Landespartei, die ihren Fokus nur sehr beschränkt auf unsere Stadtregion hat und zum Teil in der Vergangenheit auch kontraproduktive Haltungen, besonders bezüglich zum Bau der S4, vertreten hatte. Was ich mindestens als Desinteresse, wenn nicht gar als keine Unterstützung einer Verkehrswende in meinem Bezirk empfinde.
Dieses Wahlergebnis zeigt, dass die Linke trotz traditionell niedrigerem Niveau bodenständiger ist als in ihren Hochburgen in den einschlägigen Vierteln im Nordwesten Hamburgs, und hier vor allem wegen ihres sozialen Programms gewählt wird und weniger aus “kultureller Sicht”. Schließlich ist die Verkehrspolitik nur einer von mehreren bedeutenden Aspekten. Bezüglich einer stärkeren Berücksichtigung Wandsbeker Belange in der Verkehrspolitik der Linken setze meine Hoffnungen auf die neuen und jüngeren Abgeordneten, die diesmal gewählt wurden. Ein Zeichen für einen stärkeren Fokus auf den “Durchschnittsbürger” war auch, dass z.B. bei uns in Tonndorf mehr und vor allem auch an besseren Stellen plakatiert wurde.
Wenn die SPD Mut hätte, dann würde sie in Wandsbek jetzt RGR machen. Aber ich glaube im Bezirk des Finanzsenators nicht daran. Vermutlich wird die Begründung für eine Absage lauten, dass, wenn jemals in Hamburg RGR, dann aber niemals in unserem “konservativen” Bezirk. Also dürfen wir uns vermutlich entweder auf eine “Große Koalition” à la Angela Merkel oder auf eine “abgewählte” Ampel “freuen”.
Die Linke hat in Eimsbüttel pro Straßenbahn und gegen U5-Baugruben plakatiert. Nunja, genutzt hat es nicht.
Prellbock Altona schreibt übrigens (neben dem obligatorischen Grünenbashing), dass „Kräfte für den Bahnhof Altona gestärkt“ wurden. Wer hat sich denn gegen Diebsteich ausgesprochen und hat Stimmen hinzugewonnen? Ich habe jetzt das Ergebnis für Altona angesehen und die Wahlprogramme (selbst AfD) gelesen und verstehe die Aussage nicht. Auch wurde das begrüßenswerte Votum aus Erlangen erwähnt, Regensburg natürlich nicht… Beides zeigt doch, dass es große Vorbehalte gegen Straßenbahnen gibt, das sollte man als Befürworter nicht ausblenden, wenn man sich nicht verrennen will.
Volt sind die neuen Grünen. Die Grünen profitierten bei den jungen Wählern lange Jahre von ihrem lässigen, unkonventionellen Auftreten. Inzwischen sind die führenden Köpfe der Grünen alt und/oder etabliert geworden. So kann sich Volt als die neue Partei der Jugend präsentieren. Es muss sich aber noch zeigen, ob sich dieser Trend in den nächsten Jahren/Jahrzehnten fortsetzen kann oder ob Volt nur eine kurze Randerscheinung bleibt.
Ich sehe in den östlichen Bezirken Hamburgs die Verkehrswende keinesfalls als abgewählt. Nur geht es dort vielleicht künftig sanfter und bedarfsorientierter zu. Ich berichte immer wieder gern in diesem Zusammenhang, dass ich in der Bebelallee nach Wegfall einer Autospur zugunsten eines Radwegs mal 15 Minuten mit hunderten weiteren Autofahrenden im Stau stand, während mich gerade zwei oder drei Radfahrende auf dem neuen Radweg überholten. So was bezeichnet man als nicht bedarfsorientierte Fehlplanung!
” Bebelallee nach Wegfall einer Autospur zugunsten eines Radwegs mal 15 Minuten mit hunderten weiteren Autofahrenden im Stau stand, während mich gerade zwei oder drei Radfahrende auf dem neuen Radweg überholten. So was bezeichnet man als nicht bedarfsorientierte Fehlplanung!”
Nein, das ist der Sinn, wenn man Dinge verändert, weil man umsteuern muß (weg vom Auto). Viel interessanter wäre es doch, einmal zu untersuchen, warum die Leute da im Auto saßen?! Gab es dafür einen nachvollziehbaren Grund (Fahrt zur Arbeit wäre zb. nur bedingt einer, denn bekanntlich gibt es in der Bebelallee genügend ÖPNV Alternativen). Die CDU insb. aber auch die SPD begreifen eben das nicht: Das Zeitalter des Automobils neigt sich dem Ende zu und es ist die Pflicht der Politik, dies aktiv zu steuern. Und die E-Mobilität ist eine große Illusion. Zum Glück merken das Länder wie China auch bereits.
Ihre Einschätzung finde ich mutig : „ Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, daraus zu schließen, dass ein Großteil der Hamburgerinnen und Hamburger die hauptsächlich von den Grünen vorangetriebene Verkehrswende plötzlich entschieden ablehnt“
Sie unterstellt, dass die einseitige Verkehrspolitik von der Mehrheit der Hamburger getragen wird…
Sehr viele Hamburger besitzen nämlich auch ein Auto!
ja leider und viel zu Viele merken nicht einmal, daß sie diese umweltverpestenden Blecheimer gar nicht brauchen. Es hat auch nichts mit Freiheit zu tun, sondern mit reinem Egoismus. Kinder müssen dichtgedrängt auf zu engen Fußwegen zur Schule lauen, Radfahrer begeben sich fortgesetzt in Lebensgefahr nur damit der Deutsche Automichel seinem sinnbefreiten Hobby frönen kann.
Einseitige Verkehrspolitik…interessante Ansicht, wenn man bedenkt, wieviel Platz weiterhin stehend und fahrend dem PKW zur Verfügung gestellt wird. Jetzt wird einmal in die andere Richtung nachjustiert (ÖPNV, Rad- und Fußverkehr stellen bereits die Mehrheit im Modalsplit) und es wird so getan, als würde es lediglich um das Fahrrad oder die Fußgänger gehen. Es ist mitnichten so, ideologisch sind zum Großteil die Besitzstandswahrer hinter der Lenkrad, die ob der jahrzehntelangen Bevorzugung jetzt nichts abgeben wollen.
im Grundsatz hat Volt schon recht: Gerade die Planung und der Bau der U und S Bahnstrecken dauert viel zu lange und wird auch nicht genügend betrieben. Eine U Bahn Richtung Jenfeld (von Horner Geest) sollte längst geplant werden genauso wie die U4 Richtung Kirchdorf und ggf. Harburg. Die S4 ist seit fast 3 Jahren im Bau und außer einer Kraterlandschaft ist praktisch nichts zu sehen.
Bei einer Stadtbahn bezweifle ich auch angesichts der Wahlergebnisse (Hamburg AUTO FAHRER STADT NR. 1 in DEUTSCHLAND!!), daß das durchsetzbar wäre. In Regensburg wurde gerade leider eine abgelehnt (in Erlangen zum Glück nicht aber da geht es um eine Erweiterung.)
So nebenbei zu Regensburg: da sollte eine 17km lange Stadtbahn 1.2 Mrd. kosten, also 80 Mio pro Km und die Stadt wollte sich mit 400 Mio beteiligen.
Übrigens zu Investitionen in die Infrastruktur: Selbst der BDI hat eingesehen, daß etwas geschehen muß: Man fordert ein Investionsprogram von 400Mrd in den nächsten 10 Jahren in Form eines Sondervermögens.