Hamburg glänzt in vielen Bereichen, doch bei der Verkehrsplanung hakt es seit Jahrzehnten. Schuld ist der eigene Perfektionismus. Verkehrsprojekte werden oft so überperfekt durchgeplant, riesig dimensioniert und verkompliziert, dass es am Ende Jahrzehnte dauert, bis sie fertig werden – wenn sie denn überhaupt wie geplant gebaut werden.
Beispiel Osdorf: Schon vor über 50 Jahren wurde intensiv diskutiert, ob eine S- oder eine U-Bahn nach Osdorf gebaut werden sollte. Dann wurde das Projekt einer U-Bahn wegen der Finanzkrise verworfen. Vor zehn Jahren wurde erst eine U-Bahn geplant, dann wieder als S-Bahn geplant – gebaut wurde bis heute nichts. Ähnlich verlief es bei der Straßenbahn: Ende der 1990er Jahre fertig geplant, abrupt gestoppt, zehn Jahre später erneut geplant und erneut verworfen, um dann eine neue U-Bahn-Strecke dorthin zu planen, wo eigentlich seit mindestens zwei Jahrzehnten Schienen liegen könnten.
Allein für die Aktualisierung eines Verkehrsentwicklungsplans benötigte der Hamburger Senat 13 Jahre – die darin festgehaltenen Visionen sind zum Teil längst von der Realität eingeholt.
Von solchen Beispielen findet man viele, wenn man in die vergangenen 125 Jahre Verkehrsgeschichte der Hansestadt zurückschaut. Statt Lösungen für das Hier und Heute zu schaffen, wird sich zu oft in Projekten für die nächsten Generationen verrannt, die in der Gegenwart keinen Nutzen bringen, aber durch Abhängigkeiten schnelle Verbesserungen sogar verhindern.
Das wird in der heutigen Zeit mit sich immer schneller ändernden Bedürfnissen und Randbedingungen zunehmend zum Problem.
Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus einer australischen Millionenstadt, die mit einem pragmatischeren Ansatz wesentlich schneller zum Ziel kommt. Hier erzählen wir die Geschichte.
The Australien way: pragmatisch
Australier sind bekannt für ihren Pragmatismus. In der Weite und Wildnis Australiens ist oft Improvisation gefragt. Ob beim Outback-Trip oder im Alltag, Lösungen werden schnell, unkompliziert und mit gesundem Menschenverstand gefunden.
Das spiegelt sich auch im öffentlichen Nahverkehr der Metropole Brisbane wider, die mit rund 2,2 Millionen Einwohnern ähnlich groß wie Hamburg ist und seit Jahrzehnten wächst.
Auch dort gibt es eine Metro, die aber nicht als Bahn auf Schienen, sondern mit Bussen auf Asphalt fährt. Der Bau ging somit wesentlich schneller und günstiger. Ganz pragmatisch eben.
Um den Weg dorthin besser zu verstehen, muss man wissen, dass Australien ein Autofahrerland ist. Auch in den Städten ist das Auto das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel, denn australische Städte sind wesentlich weitläufiger als in Europa, mit ausgedehnten Einfamilienhaus-Vierteln. Man hat dort halt den Platz und muss nicht in die HÃ…
9 Antworten auf „ÖPNV schneller bauen: Was Hamburg von Australien lernen kann“
Was man zu Brisbane vielleicht anmerken sollte: es gibt dort, anders als in anderen australischen Grossstadten, eine Art Wettbewerbssituation zwischen dem stadteigenen Busbetrieb und dem landeseigenen S-Bahn-Betrieb, der trotz Gemeinschaftstarif (seit letztem Jahr 50c (0.30 Euro) pro Fahrt, was teilweise den Fahrgastzuwachs erklart) leider eine gute raumliche Verknupfung beider Verkehrsmittel weitgehend verhindert hat. Einige der BRT-Strecken verlaufen parallel zu S-Bahn-Linien und kannibalisieren sich gegenseitig das Verkehrsaufkommen, wahrend es nur wenige Buszubringer- oder -tangentiallinien gibt, die der S-Bahn zu besserer Netzwirkung verhelfen konnten. Das Ergebnis ist eine gewisse Parallelexistenz eines unterausgelasteten S-Bahn-Systems und eines uberlasteten BRT-Systems. Diese Uberlastung hat naturlich den entsprechenden Druck fur Kapazitatssteigerungen wie die Brisbane Metro-Fahrzeuge erzeugt, aber bisher nicht die mangelhafte Integration von Bus und Bahn verbessert. Es durfte – zumindest habe ich dieses Argument in Brisbane schon gehort – auch mogliche zukunftige Umrustungen der BRT-Infrastruktur auf Schienenbetrieb erschweren, weil nach Ansicht der Verantwortlichen auf die Kapazitat der Brisbane Metro wahrend der Umbauzeit gar nicht mehr verzichtet werden kann.
ich kenne Brisbane ganz gut und ja vieles was in Australien gemacht wird bzw. wurde (Stichwort Autoland) läßt sich zum Glück nicht auf Deutschland bzw. Hamburg übertragen. Die Vorortbahnen führen weit in den Norden von Queensland und die Innenstadt wird im Wesentlichen von Bussen bedient. Insgesamt ist Australien schon ein Phänomen: So werden allein in Melbourne bis 2070 insgesamt 75 Mrd. AUD investiert in U und S Bahnen. Und das in einem Land mit vielleicht dann 30 Mio Einwohnern. Würde man das auf Deutschland mit dann vielleicht 90 Mio hochrechnen, dann ergebe das für die Region Hamburg Berlin eine Investion von vielleicht 200 Mrd EURO.
Dazu fällt mir ein Erlebnis aus meiner Kindheit ein. Als ich 1982 das erste Mal in München war, fiel mir die schlichte Bauweise der unterirdischen Schnellbahnhaltestellen mit viel Sichtbeton auf. In Hamburg dagegen sind die unterirdischen Stationen seit eh und je hübsch und edel gestaltet, was bis heute beibehalten wird. Auch das kostet viel unnötiges Geld.
Zu Brisbane: Die Abgase der Dieselbusse in den Tunnelstationen dieser subtropischen Stadt stelle ich mir sehr unangenehm vor. War wohl wirklich nur eine Notlösung. Wollen wir hier nicht haben!
Leider bleiben Diskussionen über Hochleistungsbussysteme oft schwammig, da ein gemeinsames Grundverständnis fehlt, was mit BRT/BHLS überhaupt konkret gemeint ist und nur wenige Leute sich wirklich damit auskennen.
Ich halte es für offensichtlich, dass der Bus als innerstädtisches, hochwertiges Verkehrsmittel leider nach wie vor massiv unterschätzt wird. Man braucht auch gar nicht bis nach Australien schauen, um zu sehen, welches Potential solche Hochleistungsbussysteme haben. Denn auch in einigen unserer Nachbarländern haben sie sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten recht stark verbreitet, in unterschiedlichsten Ausführungen natürlich. Aber auch dort sind einige sehr hochwertig und konsequent umgesetzte Systeme zu finden.
Die Aussage „BRTs mögen in Afrika eine Zukunft haben, in entwickelten Städten sind ihre großen Tage gezählt“ halte ich für sehr kurzsichtig und der Realität nicht gerecht werdend, vor allem da BRT in entwickelten Städten insgesamt gesehen auch noch nie „große Tage“ hatte – wenn, dann müssten die erstmal kommen. Was sich aber anhand der überschaubaren Anzahl hochwertiger Systeme in Europa sagen lässt: In kleineren Großstädten können sie kosteneffiziente, hochwertige Hauptlastträger und netzstrukturierende Elemente des ÖPNV sein. In größeren Großstädten können sie kosteneffiziente, hochwertige Ergänzungen zu bestehenden Schnell- oder Straßenbahnsystemen bieten.
Im Werkzeugkasten der ÖPNV-Planung hat daher natürlich auch der Hochleistungsbus seine Existenzberechtigung, so wie jedes andere System mit seinen spezifischen Vor- und Nachteilen auch. Der Mix macht’s – für jedes Anforderungsprofil eben das passende System.
Dass bestehende Bussysteme durch leistungsfähigere Stadtbahnsysteme ersetzt werden oder Städte auch auf die Nutzung verschiedener ÖPNV-Systeme parallel setzen ist kein Argument gegen die Vorzüge von Hochleistungsbussystemen, sondern eher ein Beleg dafür, dass es die „One size fits all“-Lösung schlicht nicht gibt und je nach lokalem Kontext geschaut werden muss, was in jener Stadt in dem spezifischen Korridor die beste Lösung ist. Probleme und schlechte Lösungen beginnen in der Regel dann, wenn aus emotionalen, ideologischen (oder auch weiteren) Gründen Bestandteile des Verkehrsplanungs-Werkzeugkastens ohne fachliche Prüfung kategorisch ausgeschlossen oder bevorzugt werden.
Auch in Hamburg könnte ein Hochleistungsbussystem seine Vorzüge ausspielen, wie ich an dieser Stelle bereits vor einiger Zeit mal ausführlich erläuterte: https://www.arnewitte.de/ein-brt-system-fuer-hamburg/
Mir ist schleierhaft, wie das BRT-System in Brisbane ein Vorbild für Hamburg sein könnte. Bei der M5 wurde in Hamburg ein BRT-ähnliches System eingeführt, ehemals sogar mit 25-m-Fahrzeugen, und die U5 soll die M5 so stark entlasten, dass danach nicht mehr von einem BRT-Betrieb gesprochen werden kann. Gleichzeitig baut Brisbane einen neuen S-Bahn-Tunnel, so wie damals die City-S-Bahn in Hamburg. Und in Ottawa wird stückweise mit dem Transitway ein BRT-System durch ein Straßenbahn-System, den O-Train, ersetzt. Auch in Istanbul wird nun primär auf S- und U-Bahn gesetzt, nicht den Metrobüs. BRTs mögen in Afrika eine Zukunft haben, in entwickelten Städten sind ihre großen Tage gezählt.
Hallo Max, danke für das Feedback.
Nun, ich denke, die Frage der Vorbildfunktion lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern es kommt auf den Einzelfall an. Auf der Strecke nach Osdorf, wo der S-Bahn-Anschluss realistisch betrachtet nicht vor dem Jahr 2050 kommen wird, könnte man beispielsweise mit einem konsequenten BRT-System schon jetzt einen echten Gewinn für die Menschen dort schaffen. Wenn man kreativ denkt, wäre es u.U. vielleicht sogar möglich, parallel schon einzelne Stücke des späteren S-Bahn-Tunnels zu bauen und dort vorübergehend erst einmal Busse fahren zu lassen. So könnte man schon kleine Abschnitte sofort in praktischen Mehrwert für die Fahrgäste ummünzen, ohne bis zur Eröffnung der Gesamtstrecke warten zu müssen.
Auch auf dem Korridor nach Jenfeld könnte so ein BRT-System als Vorläufer für eine spätere mögliche U-Bahn einen schnellen Nutzen bei vergleichsweise wenig Kosten bringen. Und es gibt in HH sicher noch genug Beispiele, wo man mit vielen kleinen kostengünstigen Upgrades schnell zusätzlichen Fahrgastnutzen generieren könnte, bevor man die ganz große Maximallösung umsetzt. In Hamburg gibt es meiner persönlichen Meinung nach noch zu oft nur die Optionen „schlechtes Angebot“ oder „Maximallösung“. Dabei könnten gerade die Lösungen dazwischen sehr effizient und schnell sein.
Bei der M5 lohnt es hingegen sicher nicht mehr – aber man hätte dort in den vergangenen Jahrzehnten die Strecke konsequent zu einem BRT-System ausbauen können (die bisher dort durchgeführten Busbeschleunigungsmaßnahmen erlauben eigentlich nicht den BRT-Begriff), um bis zum U-Bahn-Bau auf dem Korridor schon ähnliche Fahrzeiten zu erreichen.
Viele Grüße
Christian Hinkelmann
In dem Beitrag geht es um die ganz andere Herangehensweise der Aussies und nicht das BRT-System an sich. Mal abgesehen davon, dass so Busways viel mehr Tempo erlauben als auf der M5 je geschafft wurde.
Brisbane erreichte vielleicht nur 20 Prozent mit jeder Verbesserung. Aber Hamburg plant, begutachtet, plant und redet und plant und begutachtet seit Jahrzehnte die selben Korridoren ohne dass es auf denen irgendwann mal deutlich fühlbare Verbesserungen gegeben hätte! Wo kommt man heute besser voran als 1985? Da gibt es sogar in Afrika mehr Fortschritte.
Hamburg hätte sogar eine Stadtbahn auf der M5 haben können, wenn wir diese wie in Australien ohne Rücksicht auf frühere Versprechen und Vorfestlegungen geplant hätten: Aber nein. Auf Teufel komm raus musste Bramfeld und Steilshoop zuerst angeschlossen werden, was sinnfrei war, weil man gleichzeitig den Korridor für eine U-Bahn unter Winterhude frei halten wollte. Die hatte von allen geplanten Projekten noch das größte Potential und war mit der U4 wieder machbar geworden. Das perfekte und mehrfach tot-geprüfte Ergebnis war die Stadtbahntangente zur Kellinghusenstraße, über die selbst Planer nur den Kopf schüttelten.
Vermutlich macht es das Planungsrecht (neben den verfügbaren Flächen) etwas einfacher. Da ist Australien jedenfalls historisch (positiv wie negativ) ein stadtplanerisch sehr interessantes Beispiel, u.a. die damalige, zentralisierte NCDC in Canberra, die einen sog. Y-Plan entwarf, der gezielt ein Leben ohne Pkw erschweren bis unmöglich machen sollte. Oder wie deren damalige Chef Peter Harrison sagte: eine hohe Bevölkerungsdichte mit „dritten Orten“ (urbane Verweilflächen, ob Parks, Spielplätze oder Cafés) führe letztendlich zu einem „street life“, was etwas für Entwicklungs- bzw. Schwellenländer sei und man als Authority dies möglichst komplett unterbinden müsse. Dies wieder rückgängig zu machen, ist dann wahrlich keine einfache Aufgabe. (Wer sich für ein damaliges Interview interessiert: https://nla.gov.au/nla.obj-216897007/listen)
Mehr Pragmatismus in Hamburg könnte bedeuten, statt des teuren Verbindungsbahnentlastungstunnels auf den Halt in Dammtor zu verzichten und die dortigen Regionalbahnen durch die S4-West zu ersetzen.