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Fahrpreiserhöhungen in Corona-Zeiten: Experte schlägt andere Lösungen vor

„Der öffentliche Verkehr nutzt nicht viel, wenn er immer teurer wird und dadurch Fahrgäste abschreckt.“ Politikberater und Verkehrsexperte Bernhard Knierim kritisiert geplante Fahrpreiserhöhungen und rät im Interview zu Alternativen.
Christian Hinkelmann
Menschen steigen in eine U-Bahn am Hauptbahnhof in Hamburg
Menschen steigen in eine U-Bahn am Hauptbahnhof in Hamburg

Es mutet etwas seltsam an: Den öffentlichen Verkehrsunternehmen sind in der Corona-Krise scharenweise die Fahrgäste weggelaufen, die bis heute nicht vollständig wieder zurück sind – sei es wegen Homeoffice, Ansteckungsangst oder der Maskenpflicht. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt, die vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, sagt: „Das eigene Auto geht als deutlicher Gewinner aus der Corona-Krise hervor, der öffentliche Verkehr als Verlierer. Der Weg zur Verkehrswende ist dadurch weiter geworden“ (siehe hier).

Und trotzdem kündigen ausgerechnet in dieser Zeit immer mehr Verkehrsverbünde und Mobilitätsunternehmen in Deutschland an, ihre Preise erhöhen zu wollen. Vergangene Woche beispielsweise der HVV: Plus 1,4 Prozent im Schnitt (siehe hier), gestern die Deutsche Bahn: Plus 1 Prozent im Fernverkehr (siehe hier) und 1,5 Prozent im Nahverkehr (siehe hier). Stammkunden werden hier besonders zur Kasse gebeten: Streckenzeitkarten und die BahnCard100 sollen sich im Dezember um überdurchschnittliche 1,9 Prozent verteuern.

Der Politikberater (LINKE), Buchautor und Sprecher des Bündnisses „Bahn für Alle“, Bernhard Knierim, befürchtet Imageverluste für Verkehrsverbünde und Mobilitätsunternehmen und lässt deren Argumente für höhere Preise in der Corona-Krise im NahverkehrHAMBURG-Interview nicht gelten. Stattdessen rät er ihnen zu anderen Lösungen.

„Der ÖPNV hat derzeit ein Problem: Das Auto“

NahverkehrHAMBURG: Herr Knierim, sind diese Preiserhöhungen derzeit das richtige Signal an die Menschen, wieder mehr mit Bus und Bahn zu fahren?

Bernhard Knierim: Nein, das ist zur jetzigen Zeit das völlig falsche Signal, denn der gesamte Öffentliche Verkehr und die Bahn haben im Moment wirklich ein Problem: Das Auto! Das ist derzeit für viele Menschen wieder vermehrt das Mittel der Wahl. Und vor diesem Hintergrund sind steigende Preise im öffentlichen Verkehr wirklich falsch.

Dazu kommt noch ein weiteres Problem, und das betrifft die so genannten Flexpreise der Deutschen Bahn, also Fahrkarten ohne Zugbindung. Diese Tickets sind jetzt sowieso schon sehr teuer und werden es in Zukunft noch mehr, während die Sparpreise unverändert niedrig bleiben. Damit drängt die Bahn ihre Kundinnen und Kunden dazu, möglichst früh zu buchen und die Sparpreise „mitzunehmen“, was speziell jetzt in Corona-Zeiten eigentlich keine gute Idee ist.

Besser wäre es für Fahrgäste, wenn sie ohne Zugbindung flexibel bleiben könnten, weil man nie weiß, wann und wo wieder ein lokaler Lockdown sein könnte. Das ist derzeit schwer abschätzbar. Viele Menschen schätzten eigentlich die Flexibilität der Bahn. Das ist ein großer Vorteil, den sie gegenüber anderen Verkehrsmitteln hat. Und dass sie sich genau diese Flexibilität mit ihrer Fokussierung auf Sparpreise wieder kaputtmacht, halte ich für einen großen Fehler.

„Preiserhöhungen sind nicht das Mittel, um Fahrgäste anzulocken“

NahverkehrHAMBURG: Es fällt auf, dass die Bahn gerade bei ihrer Stammkundschaft besonders zulangt und ausgerechnet die Preise für die treuesten Kunden erhöht, indem Zeitkarten und die BahnCard 100 überdurchschnittlich teurer werden. Warum müssen ausgerechnet diese Kundinnen und Kunden künftig so viel mehr zahlen?

Knierim: Auch das halte ich für ein falsches Signal, ausgerechnet die Stammkundschaft stärker zur Kasse zu bitten, die ja der Bahn – trotz der schwierigen Zeit und obwohl kaum Reisen möglich waren – oft die Treue gehalten hat. Ich glaube, dass sich das langfristig für die Bahn nicht auszahlen wird.

NahverkehrHAMBURG: Was wäre denn aus Ihrer Sicht das richtige Signal an die Fahrgäste?

Knierim: Ich würde mir eher wünschen, dass man die Treue der Kundinnen und Kunden belohnt. Wahrscheinlich wäre es erst einmal am besten, die Fahrpreise so zu lassen, wie sie derzeit sind. Natürlich ist bekannt, dass die Bahn wegen der ausbleibenden Fahrgäste im Lockdown in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Aber sie muss jetzt erst einmal alles dafür tun, wieder mehr Fahrgäste anzulocken. Und Preiserhöhungen sind da in der Regel nicht das, was dabei hilft.

NahverkehrHAMBURG: Der HVV in Hamburg verteidigt seine nächste Preiserhöhung im Dezember mit dem Argument, dass die Preise ungefähr nur so stark steigen würden wie die allgemeinen Verbraucherpreise im vergangenen Jahr. Können Sie diese Argumentation aus Fahrgastsicht nachvollziehen – auch vor dem Hintergrund, dass die Inflationsrate in diesem Jahr voraussichtlich sehr viel niedriger ausfallen wird?

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Der Kopf hinter diesem Artikel

Christian Hinkelmann ist begeisterter Bahnfahrer und liebt sein Fahrrad. Wenn er hier gerade keine neue Recherchen über nachhaltige Mobilität veröffentlicht, ist der Journalist und Herausgeber von NAHVERKEHR HAMBURG am liebsten unterwegs und fotografiert Züge.

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7 Antworten auf „Fahrpreiserhöhungen in Corona-Zeiten: Experte schlägt andere Lösungen vor“

Schade, dass die Frage der Verkehrsmittelwahl so eindimensional auf den Preis reduziert wird. Wenn der so ausschlaggebend wäre, müsste ja die ganze Welt Bahn fahren und die Autoindustrie in die Röhre schauen. Schließlich ist pendeln mit dem Auto immer noch viel teurer als mit einer Jahreskarte für den ÖPNV. Und doch tun es so viele von uns täglich, stellen sich jeden Morgen in den gleichen Stau. Warum wohl?

Danke für Ihren Diskussionsanreiz. Sicher gibt es weitere Faktoren, die bei der Verkehrsmittelwahl noch wichtiger sind. In Umfragen werden vor allem immer wieder Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit genannt.

Der Punkt ist nur: Diese Faktoren ziehen nur, wenn die Erwartungen auch erfüllt werden. Werden die Erwartung nicht erfüllt (z.B. sinkende Zuverlässigkeit durch Ausfälle oder weniger Bequemlichkeit durch überfüllte Fahrzeuge, Maskenpflicht & Angst vor Corona-Ansteckung), rückt der Preisfaktor automatisch weiter in den Vordergrund. Die Corona-Krise verstärkt diesen Effekt, denn durch wegfallende Fahrtanlässe (z.B. Homeoffice, Abendveranstaltungen) werden selbst die aktuellen Preise für HVV-Zeitkarten für viele Menschen unattraktiver – in einer Zeit, in der gerade jeder einzelne Fahrgast zählt. Dazu kommen coronabedingte finanzielle Engpässe und Unsicherheiten bei vielen Menschen. In dieser Gemengelage halte ich den Faktor „Preis“ bei der Verkehrsmittelwahl derzeit für wesentlich relevanter als in den Vorjahren.

Dazu kommt, dass PKW-Besitzer die tatsächlichen PKW-Gesamtkosten oft nicht ehrlich berechnen. Sicher verursacht der eigene PKW insgesamt höhere Kosten als die ÖPNV-Nutzung, aber ein Großteil dieser PKW-Gesamtkosten, wie Abnutzung, Reparaturen, Wartung, Steuern, etc. taucht nicht direkt auf dem monatlichen Kontoauszug auf. Die Abbuchung für die HVV-Abokarte schon. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich wage die steile These, dass viele PKW-Besitzer nur auf ihre monatlichen Spritkosten gucken und nur diese mit den Kosten für ein HVV-Abo vergleichen. Da die Benzinpreise in Deutschland seit 2018 stetig sinken (siehe hier), wirken gleichzeitige HVV-Preiserhöhungen noch größer als sie eigentlich sind. In den Köpfen der Menschen könnte nun ein immer größeres Ungleichgewicht zu Ungunsten des HVV entstehen. Die bereits oben erwähnten coronabedingten Einbußen beim Bequemlichkeitsfaktor im HVV (Maskenpflicht, Unbehagen bei zu wenig Mindestabstand in vollen Bussen und Zügen) + weniger Fahrtanlässe und ggf. Einkommensverluste (Kurzarbeit) dürften diesen Effekt meiner Meinung nach noch zusätzlich verstärken.

Wird nun nur auf Basis der letzten Kontoauszüge entschieden, auf welche Posten man am ehesten verzichten kann, besteht aus meiner Sicht bei einem HVV-Preissprung in diesem Jahr ein deutlich erhöhtes Risiko, dass das Abo gekündigt wird.

Da gebe ich Ihnen Recht, die derzeitige Lage ist aufgrund von Corona schon etwas speziell.

Die Mischung aus Heim- und Büroarbeit schreit geradezu nach flexibleren Ticket-Lösungen. Leider hat der HVV die Chance dafür mit Einführung der völlig unsinnigen HVV-Card vertan. Statt ein System wie die Oyster Card in London mit täglichem, wöchentlichen und monatlichen capping einzuführen, wofür nicht mal neue Karten ausgegeben werden müssten (schließlich ist jede Giro- und Kreditkarte heute NFC-fähig), gibt man Karten aus, die vorher am Automaten mit Bargeld (!) oder per Überweisung aufgeladen werden müssen. Das gab es in unserer Betriebskantine schon in den 90er Jahre – welch Innovation!

Was die Ehrlichkeit zu den Fahrtkosten haben Sie im Bezug auf den Gelegenheitsfahrer sicher Recht, der wird sich den Preis für eine Tageskarte anschauen und mit dem Spritverbrauch vergleichen. Was in dem Falle auch gar nicht so unehrlich ist, denn gelegentliche Fahrten machen bei den „variablen Fixkosten“ am PKW kaum etwas aus. Wer täglich 40-50 km zur Arbeit mit dem Auto fährt wird schon wissen, dass er dadurch öfter neue Reifen braucht, öfter zum Ölwechsel muss und einen niedrigeren Wiederverkaufswert hat und nicht nur die Spritkosten in Betracht ziehen.

Was die Zuverlässigkeit betrifft, so mag man mit dem Auto in Hamburg viel im Stau stehen, aber da hat man es dann warm und trocken, kann seinen Radiosender hören und wird nicht von anderen Leuten „belästigt“. Am Hauptbahnhof 3 x die Woche den Anschluss von der S21 auf die S1 zu verpassen und 10 Minuten dort zu stehen wird sicher als unangenehmer empfunden.
Wer dann noch auf einem der zahlreichen fleckigen Sitze Platz nehmen, den Frittengeruch vom Nachbarn ertragen und sich zum hundertsten mal „Hit the Road Jack“ der Bettelmusikanten anhören muss und an sein Auto zu Hause in der Garage denkt, der steigt vielleicht irgendwann um.

Nicht falsch verstehen: ich bin selber überzeugter Bahnfahrer, aber es ist manchmal nicht leicht und es wird gefühlt nicht besser..

Sehr interessant und mutig von Nahverklehr, dieses Interview und Statement zu veröffentlichen.
Ich sage weiterhin:
Keine Preiserhöhungen aber eine Tarifzonenreform.
Es kann nicht sein, dass bei bestimmten Situationen, wenn ich von a nach b will, eventuell ein privater Dienstanbieter wie VW Moja mit seinen E-Autos günstiger ist.

Interessiert es denn, was ein Biologe bzw. Politologe zu sagen glaubt? In Hamburg werden ja sogar Betriebswirte, Marketingheinis, pensionierte Erkundelehrer und Landschaftsarchitektinnen mit grünem Parteibuch als „Verkehrsexperten“ bezeichnet. Da wundert man sich nicht über den Hass auf U- und S-Bahnprojekte.

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