Fahrgastschwund, fehlende Einnahmen und Infektionsangst: Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland ist einer der großen Verlierer der Corona-Krise. Die ausbleibenden Fahrgäste haben in den vergangenen Monaten viele Verkehrsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gebracht.
Im HVV beispielsweise waren die Fahrgastzahlen zu Beginn der Corona-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Inzwischen liegt der Einbruch immer noch bei 25 bis 30 Prozent, wie die Hamburger Verkehrsbehörde gestern mitteilte.
Selbst große Verkehrsbetriebe, wie die MVG in München, die dort die U-Bahnen, Straßenbahnen und den Großteil des Busverkehrs betreibt, sind da in den vergangenen Monaten unter finanziellen Druck geraten. Bis Jahresende wird dem städtischen Unternehmen in der bayerischen Landeshauptstadt trotz massiver Finanzhilfen des Bundes voraussichtlich ein zweistelliger Millionenbetrag fehlen. Die MVG will deswegen Zukunftsinvestitionen verschieben: Alte U-Bahn-Züge bleiben länger in Betrieb, Sanierungen werden reduziert (mehr dazu hier).
Höhe des Corona-bedingten ÖPNV-Defizits ist noch unklar
So weit will Hamburg es nicht kommen lassen. Gestern hat die Verkehrsbehörde angekündigt, dass dem öffentlichen Nahverkehr in der Hansestadt alle Corona-bedingten Verluste bis Jahresende zu 100 Prozent ausgeglichen werden sollen. Wie hoch diese Summe bis Ende Dezember sein wird, steht noch nicht ganz fest. Derzeit gibt es nur eine Prognose des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) vom 12. Oktober, die vorhersagt, dass die Corona-bedingten Einnahmeverluste im Hamburger ÖPNV von März bis Jahresende bei rund 191 Millionen Euro liegen würden. Dort ist allerdings noch nicht der aktuelle Teil-Lockdown mit einkalkuliert.
Hamburg will mindestens 65 Millionen Euro zuzahlen
Dieses Defizit will Hamburg aus eigenen Haushaltsmitteln mit 65 Millionen Euro ausgleichen. Der restliche Fehlbetrag soll aus dem ÖPNV-Rettungsschirm des Bundes abgedeckt werden, der den deutschen Verkehrsunternehmen mit insgesamt 2,5 Milliarden Euro aushelfen will (siehe hier). Dazu hatte der Bund die so genannten Regionalisierungsmittel einmalig entsprechend erhöht.
Regionalisierungsmittel sind Zuschüsse, die der Bund den Ländern jährlich auszahlt, damit diese Bus- und Zugfahrten im öffentlichen Nahverkehr bestellen und den ÖPNV insgesamt ausbauen können. Hamburg bestellt mit diesem Geld beispielsweise regelmäßig Leistungen bei der S-Bahn, aber finanziert damit auch Bauvorhaben: So wurden beispielsweise die neuen S-Bahnhöfe an den Elbbrücken (siehe hier) und in Ottensen (siehe hier), sowie der U-Bahnhof Oldenfelde und erste Planungen für die künftige S-Bahnlinie S4 mit Regionalisierungsmitteln bezahlt (siehe hier).
Auch bei weiter steigendem Defizit will Hamburg ausgleichen
Und auch, wenn die Corona-bedingten Verluste im Hamburger ÖPNV bis Ende Dezember aufgrund des aktuellen Lockdowns noch weiter steigen sollten, will Hamburg einen 100-Prozent-Ausgleich sicherstellen. Das bestätigte der Pressesprecher der Hamburger Verkehrsbehörde, Dennis Krämer, auf Nachfrage von NahverkehrHAMBURG: „Wir werden nun die Entwicklungen der Fahrgastzahlen in diesen und den kommenden Wochen genau betrachten. Entsprechend der tatsächlichen Entwicklung kann sich die Prognose damit auch noch verändern. Alle Einnahmeausfälle im ÖPNV bis Jahresende sollen bis zu 100 Prozent durch den Rettungsschirm ausgeglichen werden.“
Laut Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) stärke die Hansestadt dem ÖPNV mit dieser Finanzzusage sehr bewusst den Rücken. „Damit zeigt der Senat, dass der öffentliche Nahverkehr und die Mobilitätswende in Hamburg ihm viel wert sind.“
Tatsächlich sind Sparmaßnahmen, wie bei der MVG in München, im Hamburger ÖPNV somit erst einmal kein Thema, wie die Hochbahn vor wenigen Tagen gegenüber NahverkehrHAMBURG erklärte (siehe hier).
Drohen Einsparungen beim Bau neuer Bahnstrecken?
Allerdings deutete Finanzsenator Andreas Dressel in einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung an, dass die zahlreichen geplanten neuen U- und S-Bahn-Strecken, die in den nächsten 20 Jahren in und um Hamburg gebaut werden sollen, möglicherweise nicht mehr ganz so sicher sein könnten, wie es noch vor der Corona-Krise schien. „Angesichts der enormen Infrastrukturprojekte in den Personennahverkehr in den kommenden Jahren – nicht nur hier in Hamburg – ist eine signifikante Erhöhung oder Verstetigung der Mittel zwingend erforderlich“, erklärte der SPD-Politiker in Bezug auf die in diesem Jahr einmalig erhöhten Regionalisierungsmittel.
Könnte das im Umkehrschluss Einsparungen bei geplanten Bauvorhaben bedeuten, falls der Bund die Regionalisierungsmittel im kommenden Jahr wieder auf das bisherige Niveau absenken sollte? Hier dürfte die weitere Entwicklung in den kommenden Monaten aus Hamburger Sicht spannend werden.
Kaum Fahrplaneinschränkungen im Lockdown – keine Abo-Pause für KundInnen
Außerdem kündigte die Verkehrsbehörde gestern an, dass das Fahrplanangebot im aktuellen Teil-Lockdown weitgehend aufrechterhalten werden soll. Lediglich im Wochenend-Nachtverkehr wird es auf der Linie U3 statt eines 10-Minuten-Takts einen 20-Minuten-Takt geben.
Trotz der gestern ausgesprochenen Finanzgarantie für den ÖPNV bis Jahresende plant der Hamburger Verkehrsverbund im aktuellen Lockdown keine finanziellen Entlastungen für seine Stammkundschaft.
Anders als im Frühjahr soll es in den kommenden Wochen keine Möglichkeit geben, vorübergehend nicht genutzte Abo-Zeitkarten in eine kostenfreie Pause zu schicken (Begründung hier). Betroffenen Kundinnen und Kunden, die derzeit wieder verstärkt im Homeoffice arbeiten oder in Kurzarbeit sind und nicht mehr regelmäßig mit Bahnen und Bussen fahren, müssten also komplett kündigen.
Derzeit hat der HVV für diese Kundengruppe auch noch kein wirkliches Alternativangebot. Seit mindestens einem Monat denkt der Verbund über flexiblere Abo-Tickets nach (Einzelheiten hier) – bislang ohne Ergebnis.
Private Mobilitätsanbieter locken mit Corona-Rabatten
Stattdessen preschen zwei private Mobilitätsanbieter mit speziellen Lockdown-Rabatten in Hamburg vor: Der On-Demand-Fahrdienst Moia von Volkswagen bietet seit vorgestern und bis zum 15. November alle seine Fahrten, die zwischen 5 Uhr morgens und 19 Uhr abends bestellt werden, für maximal 5 Euro an – egal, wie lang die Strecke tatsächlich ist.
Offiziell bezieht sich das Angebot auf Fahrten aus beruflichen Gründen, allerdings sind Freizeitfahrten auch nicht explizit ausgeschlossen, wie sich zwischen den Zeilen der entsprechenden Ankündigung herauslesen lässt (siehe hier). Nach 19 Uhr bis Betriebsschluss gelten die üblichen Moia-Tarife.
Wie NahverkehrHAMBURG aus dem Umfeld von Moia erfuhr, rechnet das Unternehmen in den kommenden Tagen und Wochen aufgrund der verschärften Corona-Regeln mit einer sinkenden Nachfrage – gerade abends und an den Wochenenden. Im Oktober war die VW-Tochter noch mit 280 Fahrzeugen in Hamburg unterwegs, in den kommenden Wochen werde man die Flotte flexibel an die aktuelle Nachfrage anpassen, hieß es.
Und auch der E-Scooter-Vermieter Lime lockt im aktuellen Lockdown mit Sonderrabatten: Wer will, kann sich für 39 Euro eine Flatrate buchen und damit einen Monat lang unbegrenzt Elektro-Tretroller und E-Fahrräder ausleihen. Eine Einzelfahrt darf allerdings nur maximal 45 Minuten dauern.
Das Geschäft mit E-Scootern hatte in Hamburg seit Ausbruch der Corona-Pandemie massiv gelitten, wie diese Analyse zeigt (siehe hier). Demnach waren die E-Scooter der Verleihfirmen Tier und Voi in den Wochen nach dem ersten Lockdown kaum unterwegs. Erst im Juli nahm die Nutzung wieder Fahrt auf. Seit Mitte Oktober gehen die Auslastungszahlen der Roller bei beiden Anbietern allerdings wieder zurück.
Den Rollerverleihern droht – angesichts der sinkenden Temperaturen und der verschärften Corona-Regeln – möglicherweise ein harter Winter.
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5 Antworten auf „Hamburger ÖPNV soll Corona-Verluste vollständig ausgeglichen bekommen“
Vielleicht sollte Hamburg mit Teilgrüner Regierung sich überlegen, dass es auch billiger und wesentlich schneller zu errichtende Schienenverkejrsmittel gibt, als eine frühestens in 20 Jahren zu eröffnenente U Bahn
Es gab eine Zeit ohne Corona, da wußtn die Hamburger Grünen noch was eine Stadtbahn kann. Aber von großen Reden passiert eben nichts. Jedenfalls sollte man sich in Zeiten der Geldknappheit dieser Möglichkeiten erinnern. München, Berlin und auch Nürnberg gehen diesen Weg, UBahbbau auslaufen lassen und stattdessen die Straßenbahn ausbauen.
Bloß jetzt keine Projekte großartig verschieben. Sonst wird das wie in den 70ern und die ohnehin spärliche und stark belastete Infrastruktur wird wieder auf Jahrzehnte hinaus nicht vernünftig ausgebaut. Bitte unbedingt weiter bauen bzw. planen. Das sind wichtige Zukunftsinvestitionen.
Hoffentlich wird das Geld wie in München ausgehen und die Investitionen werden gestoppt. Die Mobilitätswende brauch ich nicht wenn es so bleibt wie es ist, wird es niemanden umbringen. Immer diese Parkplatz Vernichtung und zwangs-Ballindamm-Verschörung dafür ist Geld da ähhh ne dafür ist Geld doch nicht da man will ja das Fahrradkennzeichen einführen um die leeren Staats Kassen zu füllen eine Willkommene Einnahmequelle ist das. Auch so ein pkw und Fahrrad habe (noch) nicht aber wenn ich als u-bahn Fahrgast sehe wie denn anderen das leben schwer gemacht wird wird mir schlecht.
Doch, endlich die teuren UBahnplanungen beenden und Stadtbahnen anstelle planen.
Wer billig kauft, kauft am Ende teuer. Bei wirtschaftlichen Krisen muss der Stadt auch klotzen statt kleckern. Eine Billiglösung, die mehr Nach- als Vorteile hat, kann daher niemand wollen. Ansonsten können wir auch alle Schienenprojekte einstampfen und nur noch auf Busse setzen. Ist ja nach Rumpelbahn-Logik dann (sehr kurzfristig gedacht) „günstig“.