Seit Anfang April hat der Hamburger Verkehrsverbund eine neue Spitze. Anna-Theresa Korbutt (41) ist seitdem neues Mitglied der Geschäftsführung neben Dietrich Hartmann.
Die gebürtige Danzigerin hat in den vergangenen Jahren in führenden Positionen bei der Deutschen Bahn und den Österreichischen Bundesbahnen gearbeitet und lebte zuletzt sechs Jahre in Wien.
Im ausführlichen Gespräch mit NAHVERKEHR HAMBURG erklärt sie, welche neuen Impulse sie in den HVV einbringen will, warum sie enger mit privaten Sharing-Diensten kooperieren möchte und wieso der Verkehrsverbund unter ihrer Leitung künftig verrücktere Dinge ausprobieren könnte. Außerdem skizziert die Mobilitätsmanagerin, wie sie nach der Corona-Pandemie verlorene Fahrgäste zurückgewinnen will und wo sie den HVV im Jahr 2030 sieht. Auch Fahrpreiserhöhungen und ein 365-Euro-Jahresticket sind Themen.
NAHVERKEHR HAMBURG: Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Monat gewissermaßen Herrin über 781 Linien und 10.359 Haltestellen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Haben Sie schon eine Lieblingsstrecke?
Anna-Theresa Korbutt: Es gibt eine Strecke, die ich oft fahre: Vom Flughafen zur HVV-Zentrale am Steindamm in der Innenstadt, denn ich lebe derzeit noch in Wien und komme – auch wegen der Pandemie – nur an einzelnen Tagen nach Hamburg ins Büro. Der Rest findet über Videokonferenzen statt. Leider verwehrt mir Corona derzeit das, was ich am liebsten gemacht hätte: Jeden einzelnen Kreis und Landkreis im HVV besuchen und die einzelnen Auftraggeber und Verkehrsunternehmen an ihren Sitzen persönlich zu treffen. Das hätte mir sehr geholfen, das riesige HVV-Netz besser kennenzulernen. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben und ich habe von verschiedenen Verkehrsunternehmen schon einige Routen empfohlen bekommen, die ich unbedingt ausprobieren soll.
NAHVERKEHR HAMBURG: Als Sie zum ersten Mal am Hamburger Flughafen vor einem HVV-Fahrkartenautomaten standen – was ist Ihnen dabei besonders positiv oder negativ aufgefallen?
Korbutt: Wenn Sie ganz fremd nach Hamburg reinkommen und spontan ein HVV-Ticket kaufen wollen, ist das natürlich nicht ganz so einfach, wie man das erhoffen würde. Die Tarife sind eben historisch gewachsen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Fahrkartenautomaten am Flughafen für Ortsfremde manchmal kompliziert zu bedienen sind. Jedes Mal, wenn ich am Flughafen ankomme, sehe ich am S-Bahnhof Kunden, die Hilfe suchen. Und dann helfe ich denen beim Ticketkauf.
NAHVERKEHR HAMBURG: Was reizt Sie am Hamburger Verkehrsverbund besonders?
Korbutt: Er ist wirklich groß. Wenn man sich das HVV-Gebiet auf einer Deutschlandkarte anschaut, merk man, was für eine riesige Fläche das ist, die da jeden Tag bedient wird. Und ich finde es faszinierend, dass es den vielen Verkehrsunternehmen im HVV jeden Tag aufs Neue gelingt, miteinander gut zu funktionieren. Dieser gute Ruf ist weit über die deutschen Grenzen hinaus in der Branche bekannt. Ich habe zehn Jahre lang in der Schweiz und in Österreich gelebt und auch dort kriegt man mit, wie einmalig gut die Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsunternehmen und dem Verbund hier funktioniert. Das bietet sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten und hat mich dazu bewegt, mich hier zu bewerben. Außerdem haben wir hier mit Verkehrssenator Anjes Tjarks und Staatsrat Martin Bill zwei klare Befürworter der Mobilitätswende. Ein besseres Umfeld für Veränderungen kann ich mir kaum vorstellen. Ich brauche ein Umfeld, in dem ich mitgestalten kann und in dem genau solche Zielsetzungen im Vordergrund stehen.
NAHVERKEHR HAMBURG: Sie haben in den vergangenen sechs Jahren in Wien gelebt – eine Stadt, die ungefähr so viele Einwohner hat wie Hamburg. Wo unterscheiden sich die beiden Städte beim Thema Mobilität am meisten?
Korbutt: Ich halte beide Städte für sehr fortschrittlich in dem, was sie tun und in dem Umfeld, in dem sie sich bewegen. Grundsätzlich hat Österreich in den letzten Jahrzehnten sehr viel Geld in soziale Infrastruktur investiert, also soziale Mobilität, sozialer Wohnungsbau und so weiter. Dadurch sind zwei Phänomene entstanden: Das, was man dort über Jahrzehnte aufgebaut hat, führt jetzt automatisch zu einem sehr soliden Verkehrsnetzwerk, was hervorragend aufeinander abgestimmt ist, zu sehr guten neuwertigen Fahrzeugen und beispielsweise Elektrobussen in großer Stückzahl. Und da ist auch sehr viel mehr Geld in das Thema Innovation und vernetze Mobilität investiert worden. Das ist etwas, was es in Hamburg in dieser Konsequenz und Kontinuität offenbar nicht gegeben hat. Allerdings holt die Hansestadt hier gerade auf. Mit der Zielsetzung „Hamburg-Takt“ ist spürbar Tempo in die Mobilitätswende gekommen. Natürlich werden wir nun nicht innerhalb von drei bis fünf Jahren Infrastrukturprojekte nachholen können, die teilweise 15, 20 Jahre und mehr brauchen. Auf der anderen Seite hat Hamburg in den vergangenen Jahren mehr im Bereich der Digitalisierung und bei der Vernetzung der Verbund-Unternehmen gemacht als Wien. Und Hamburg wird mit den aktuell gesetzten Mobilitätszielen in den kommenden Jahren sicher große Schritte nach vorn machen.
NAHVERKEHR HAMBURG: Welche Innovationen aus dem Wiener Nahverkehr würden Sie gern in den HVV einbringen?
Korbutt: Ich bin ein großer Verfechter der integrierten Mobilitätsketten, in denen nicht nur Bus und Bahn isoliert betrachtet werden, sondern auch alle anderen Mobilitätsarten mit einbezogen werden – von On-Demand-Shuttles über Carsharing und Mieträder bis hin zu Elektrorollern. Ich würde mir hier im HVV gern anschauen, wie man diese teilweise schon bestehenden Vernetzungen der unterschiedlichen Anbieter noch transparenter und noch schneller an die Kunden bringen kann – und zwar nicht nur in Hamburg, sondern vor allem auch im Umland. Bei dem Thema ist Wien weit vorgeprescht, hat sich schon sehr intensiv damit auseinandergesetzt und mehr übergreifende Projektstrukturen geschaffen.
NAHVERKEHR HAMBURG: Was könnte das für den HVV konkret bedeuten?
Korbutt: In Österreich gibt es beispielsweise die Weg…
8 Antworten auf „„Jeder, der einen kreativen Mobilitätsansatz hat, ist herzlich willkommen““
Danke Herr Hinkelmann,
dass wir das Interview noch einmal lesen durften. Einen Tag später machte auch Frau Barnickel von der Mopo ein Interview fast auf 2 Seiten in der Mopo mit unserer neuen HVV Geschäftsführerin.
Mir fiel dabei doch auf, dass jetzt schon ein 365€ Ticket nicht in die HH-Politik passt und Frau Korbutt dazu eventuell ge-brieft wurde.
Und es fiel mir auf, das Hamburg mit seinem ÖPNV gegenüber Wien ziemlich hoch gejubelt wurde. Aber Wien hat ein 225 KM langes Straßenbahnsystem, mit 28 Linien und 1071 Haltestellen.
Mit der Tram fahren pro Jahr 306 Mio Menschen.
Das ist ein Juwel!
Wer in Osdorf wohnt, hat zuletzt 1978 eine Schienenverbindung ins Zentrum gehabt.
Neubauzentren in Wien bekommen erst die Schiene und dann wird gebaut.
Dazu dieses:
Die Wiener U-Bahn beförderte 2015 440 Millionen Personen.
Also pro Tag: 1,2 Millionen Personen.
Die Hamburger U-Bahn beförderte 2017 242 Millionen Personen.
Also pro Tag 660.000 Personen.
Dazu hat Wien natürlich auch ein S-Bahnliniensystem.
Also für die Einwohnerzahl Wien = Hamburg = 1,9 Mio Einwohner*Innen
kann für die neue Geschäftsführerin des HVV Frau Korbutt das System:
S-Bahn-U-Bahn-Straßenbahn ein gutes Vorbild für Hamburg werden.
Aber erst einmal 100 Tage gute Einarbeitung.
Dabei bitte eventuell diese Praktika machen:
Inkognito bitte:
+Mit dem Bus ab Altona nach Osdorf am Freitag nachmittag um 16 Uhr.
+ Umsteigen zu Feierabend am S-Bahnhof Hauptbahnhof und auch am S-Bahnhof Altona.
Und dabei schon die Zukunft bedenken, wenn auch die S4 diese beiden Knoten anfahren will.
365€ ist viel zu teuer, man muss sich ja schließlich auch noch für jede Fahrt eine FFP2-Maske kaufen.
Kreativer Mobilitätsansatz mit Modal Split etc. ist schön, auch das kundenzentrierte Optimieren von Tarifen und das Testen durch die 18-Jährigen Start-Up-Cracks. Aber wenn der Fahrplan auf Kante gestrickt ist, die Bahnanschlüsse nicht solide funktionieren (Altona!), weil es zu wenig Puffer gibt, und z.B. die S1 West ständig Verspätung hat wegen einspuriger Strecke, helfen auch Moia und die ganze Mobilitätskette nicht viel. Wir brauchen v.a. in der Peripherie (jenseits von Altona, Eidelstedt, Hasselbrook, Harburg) nicht kreatives Schicki-Micki, sondern realistische Fahrpläne mit verlässlichen Anschlüssen. Wir brauchen dazu eine Stations-Infrastruktur, die sich an Bedürfnissen von Menschen über 50 und Menschen mit Behinderungen oder Kinderwagen orientiert, ohne sie von anfälliger Aufzugs-Technik abhängig zu machen.
Schade dass es keine Frage zur Barrierefreiheit gab. Denn wir Hat Hamburg gegenüber sogar kleineren Städten einen großen Nachholbedarf!
Wir wünschen der neuen HVV-Geschäftsführerin einen guten Start!!
Der ÖPNV hats schon sehr schwierig.
Das Interview seitens Christian Hinkelmann ist gut gelungen.
Das 365€ Ticket bleibt aktueller denn je.
Gerade wenn 100.000 Abos gekündigt wurden.
Ein gute Tarifreform ist notwendiger denn je – jetzt erst recht.
Und ich wünsche mir weiterhin, dass der HVV sein Vorhaben umsetzt:
Ein ganzes kostenloses Wochenende mit dem HVV für Alle Bürger*Innen.
An Herrn/Frau Lokstedter die Frage: Was hat das 365€ Ticket mit Kreuzfahrten oder AstraZeneca zu tun? Oder mit U-Bahn und Wohnungsbau?
ich antworte einmal mit Goethe:
„Man muss das Wahre immer wiederholen,
weil auch der Irrtum um uns her
immer wieder gepredigt wird
und zwar
nicht nur von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien,
auf Schulen und Universitäten.
Überall ist der Irrtum obenauf,
und
es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“
Johann Wolfgang von Goethe Gespräche.Mit Peter Eckermann, 16.12.1828
Uns bewegt als BI aber das Thema:
19 Buslinien am Bahnhof Altona und mehrere Nachtlinien dürfen nicht von einem Fernbahnhof Altona abgeschnitten werden.
Das wurde eigentlich im Interview auch deutlich.
A.Müller-Goldenstedt – Mitglied on Prellbock Altona e.V.
“Das 365€ Ticket bleibt aktueller denn je.”
Ok. ?
Das stimmt dann schon sehr zuversichtlich, was die neue HVV-Chefin sagt. Die kritischen Worte zum 365-Euro-Billigticket sprechen auch für sich: eine Stagnation im Modal Split und zuletzt sogar eine Reduktion, weil Geld für den Ausbau des Netzes und des Angebots fehlt. Die Forderung der Einführung eines solchen Tickets in Hamburg kennt man ja nur von der Generation, die nun AstraZeneca beim Hausarzt verweigert und sofort alle Öffnungen für neue CO2-Schleuder-Kreuzfahrten wünscht. Der solidarische Rest hat halt Pech, ist nur neidisch und soll wie gewohnt die Klappe halten. Und bitte keinen Wohnungs- oder U-Bahnbau vor meiner Haustür. Höchstens eine nostalgische Rumpelbahn am anderen Ende der Stadt, um sich wieder jung zu fühlen.
Verstehe ich nicht. Sie äußert sich mit keinem Wort direkt ablehnend zum 365-Euro-Ticket. Eher im Gegenteil, auch wenn Sie keine Hoffnung auf (schnelle) Einführung macht. Sie sagt hingegen, dass der Preis alleine wenig aussagt, sondern Preis und Leistung im Verhältnis zueinander stehen müssen. So wie es ja immer ist, oder etwa nicht?