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Was die Stresemannstraße für Radfahrende so gefährlich macht

Die Stresemannstraße ist für Hamburgs Radfahrende ein Albtraum. Auf rund drei Kilometern lauern zahlreiche Gefahren, doch die Stadt duldet die Zustände seit Jahren. Ein Ortsbesuch mit dem ADFC und was Verkehrsbehörde und Polizei dazu sagen.
Katrin Wienefeld
Kein Radweg, kaum Fußweg und jede Menge Hindernisse: Fahrradfahren auf der Stresemannstraße in Hamburg ist nach Ansicht Vieler eine Zumutung.
Kein Radweg, kaum Fußweg und jede Menge Hindernisse: Fahrradfahren auf der Stresemannstraße in Hamburg ist nach Ansicht Vieler eine Zumutung.
Foto: Christian Hinkelmann

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Wer mit Dirk Lau die Stresemannstraße entlang fährt, erlebt einen Mann, der mal sprachlos, oft fassungslos und zuweilen richtig wütend ist. „Es ist teilweise lebensgefährlich hier. Aber die Stadt duckt sich weg“, sagt er.

Was Lau (49), Hamburger Pressesprecher des Fahrradclubs ADFC, meint, sind die Bedingungen für Radfahrende auf der Stresemannstraße – eine der wichtigsten Ost-West-Verkehrsachsen in Hamburg. Ein vierspuriges Straßenmonster aus Zeiten, als die autogerechte Stadt noch zum Nonplusultra der Verkehrsplanung gehörte: maximal Platz für den Autoverkehr.

Radwege gibt es auf dieser wichtigen Einfallstraße in das Hamburger Stadtzentrum kaum – seit Jahrzehnten. Konflikte mit Fußgängern und dem Autoverkehr sind da vorprogrammiert. Die Stresemannstraße ist deswegen bei Radfahrerinnen und Radfahrern berüchtigt – und laut Polizei ein Unfallschwerpunkt in Hamburg (siehe hier). Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu gefährlichen Unfällen, beispielsweise 2014, als ein abbiegender Lastwagenfahrer einen 47-jährigen Radler tötete (siehe hier). 2017 wurde eine 59-Radfahrerin ebenfalls von einem abbiegenden LKW überrollt und schwer verletzt (siehe hier).

Wie gefährlich ist Radfahren auf der Stresemannstraße wirklich? Was sagen die Verantwortlichen dazu? Und welche konkreten Verbesserungen stellen sie in Aussicht?

NAHVERKEHR HAMBURG-Redakteurin Katrin Wienefeld hat den Praxistest gemacht und ist die Stresemannstraße zusammen mit dem ADFC auf dem Fahrrad abgefahren. Von Ost nach West. Vom neuen Pferdemarkt bis nach Bahrenfeld. Drei Kilometer weit. Ein Bericht über Angst, Ärger und scheinbar untätige Verantwortliche.

Praxistest: Zwischen Angst und Ärger

Die Stresemannstraße. Eine der meistbefahrenen Straßen Hamburgs. Jeden Tag quälen sich zwischen 50.000 und 60.000 Autos und Lastwagen über die vierspurige Bundesstraße, wie eine NAHVERKEHR HAMBURG-Auswertung von Infrarotkameradaten entlang des Straßenzugs zwischen dem neuen Pferdemarkt und Bahrenfeld ergab. Für die Verkehrsbehörde und die Polizei zählt die Straße zu den wichtigen West-Ost-Verkehrsachsen für den motorisierten Verkehr. 

Für Hamburgs Radfahrende ist sie gleichfalls wichtig und die kürzeste Verbindung, wenn sie von der Schanze oder aus St. Pauli Richtung Westen wollen. Wie viele Menschen dort aktuell täglich mit dem Fahrrad unterwegs sind, weiß aber scheinbar niemand so richtig. Zwar hat die Stadt Hamburg in den vergangenen Jahren im ganzen Stadtgebiet zig Infrarotkameras installiert, die Radfahrende in Echtzeit zählen, doch ausgerechnet an dieser Hauptroute gibt es keine. Auch die Verkehrsbehörde nannte auf Nachfrage keine Zahlen.

Als Radfahrerin kenne ich die Strese natürlich gut – und fahre dort nur ungern. Damit bin ich nicht allein, wie die vielen Social-Media-Posts zeigen, auf die ich bei meiner Recherche für diesen Bericht stieß. 

Ein User filmte seine Fahrt durch die Stresemannstraße vor einigen Jahren sogar und stellte das Video bei Youtube online – mit teils nur schwer erkennbaren oder gar nicht erst vorhandenen Radwegen. Der Clip mutet etwas surreal an vor dem Hintergrund, dass der Hamburger Senat vor einigen Jahren die „Fahrradstadt Hamburg“ ausgerufen hatte (siehe hier, hier und hier).

Um die Fahrrad-Schwachstellen auf der Strese mit einem fachkundigen Blick zu begutachten, habe ich Dirk Lau vom ADFC zu einer kleinen Radtour eingeladen. Wir treffen uns an einem Freitagmittag im Januar am Neuen Pferdemarkt. Vor uns liegen drei Kilometer Strecke. Soviel vorweg: Es wird eine Tour auf Wegen, wie es sie in einer Fahrradstadt niemals geben dürfte. 

Schon nach 170 Metern endet das Fahrvergnügen

Wir starten mit unseren Rädern Richtung Westen. Auf den ersten 170 Metern ist der Radweg gut zu fahren, mit roten Betonsteinen markiert, wir können sogar nebeneinander rollen. Doch dann endet unser Fahrvergnügen jäh. Bereits hinter der Lerchenstraße, gegenüber dem Polizeikommissariat, wird die Markierung unversehens schmaler und zu einem Radweg, wie ich ihn aus dem vergangenen Jahrhundert kenne: löchriger Asphalt und handtuchbreit. 

Kurz vor der Sternbrücke überqueren wir die Eifferstraße, die hier in die Stresemannstraße einmündet. Danach ist plötzlich gar kein Radweg mehr markiert. Wir müssen auf dem Gehweg mitfahren, der hier nicht einmal zwei Meter breit ist. Neben mir donnern Laster vorüber, zum Anfassen nah. Unwillkürlich lenke ich nach rechts. Dass ich heute ohne Helm unterwegs bin, bereue ich jetzt.

Engstellen, wie hier vor der Sternbrücke, gibt es an der Stresemannstraße für Radfahrende und den Fußgängerverkehr immer wieder.
Christian Hinkelmann Engstellen, wie hier vor der Sternbrücke, gibt es an der Stresemannstraße für Radfahrende und den Fußgängerverkehr immer wieder.

Dirk Lau stoppt. Ich frage ihn, was jetzt legal wäre. Darf ich auf dem Gehweg fahren? Es kann doch nicht sein, dass sich Radfahrende und zu Fuß Gehende diesen schmalen Streifen teilen sollen?

Der ADFC-Experte nickt. „Doch, das ist so. Für diesen Radweg besteht eine Radwegbenutzungspflicht – und das schon seit Jahren“, erklärt Lau, wobei er das Wort Radweg extra betont, und meint: „Das ist für uns eindeutig rechtswidrig. Anstatt für Verkehrssicherheit für alle zu sorgen, ordnet die Polizei an, dass Radfahrende und Fußgänger sich diesen Bürgersteig teilen müssen.“ Und er fügt hinzu: „Die Polizei hat offensichtlich nur Interesse daran, dass der Autoverkehr möglichst reibungslos fließt – nicht, dass der Radverkehr bessere Bedingungen erhält.“

Immerhin gilt hier in diesem Bereich ein Tempolimit. Nur 30 km/h dürfen Autos auf einem rund 650 Meter kurzen Stück der Stresemannstraße, beginnend ab der Mistralstraße und bis zur Missundestraße, fahren. Die Geschwindigkeitsbegrenzung wurde 1991 nach einem tödlichen Unfall eingeführt, als ein neunjähriges Mädchen von einem 40-Tonner überrollt wurde und starb (ausführlich berichtet der NDR hier). Doch es war nicht die letzte Tote nah der Sternbrücke. So verunglückte zum Beispiel auf der Kreuzung im Jahr 2012 eine Fußgängerin. Grund: ein zu schnell fahrender LKW. Es ist einer der gefährlichsten Kreuzungen für den Verkehr.

An der Sternbrücke ist es besonders schlimm

Für alle Radwegbenutzungspflichten ist in Hamburg die Polizei zuständig. Dirk Laus Annahme, diese sei vor und hinter der Sternbrücke rechtswidrig, teile ich nach unserer Radtour der Polizeipressestelle mit und frage, was sie dazu sagt und ob dort Abhilfe in Sicht ist.

Die Antwort klingt ernüchternd. An der Sternbrücke sei ein gefahrloses Fahren Radfahrender im Mischverkehr auf der Fahrbahn unmöglich, da die Gefährdung Radfahrender „bei Verflechtungsvorgängen wegen deren schmalen Silhouetten und der üblicherweise höheren Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Rad- und Kraftfahrzeugverkehr“ steige. Auch der hohe Schwerlastanteil mache das Fahren auf der Fahrbahn unmöglich. Maßnahmen zur Entschärfung, etwa Tafeln zur Verdeutlichung des Reißverschlussverfahrens oder das Piktogramm „verengte Fahrbahn“ hätten nichts gebracht. Die Lage rechtfertige die Anordnung der Radwegbenutzungspflicht, heißt es in einer Mail.

Auch von der Verkehrsbehörde kommt ein eher verwaschenes Statement. Man sei sich der gefahrvollen Verkehrssituation für Radfahrende auf der Stresemannstraße – vor allem bei der Sternbrücke – bewusst, heißt es von dort. Doch konkret in Bezug auf die Sternbrücke verweist die Behörde auf die Pläne der Deutschen Bahn, die die alte Brücke durch einen deutlich größeren Neubau ersetzen will, womit unter der Brücke künftig mehr Platz für den Auto- und Radverkehr wäre. Die Pläne sind umstritten (siehe hier) – und: Die Brücke soll frühestens 2026 fertig sein. Heißt: Radfahrende und Fußgänger werden noch mindestens vier weitere Jahre mit der heutigen Situation leben müssen.

Unter der Sternbrücke geht es besonders eng zu. Da der Hamburger Senat nicht bereit ist, eine Fahrspur für den Radverkehr zu opfern, wird erst ein Neubau der Brücke mehr Platz schaffen.
Christian Hinkelmann Unter der Sternbrücke geht es besonders eng zu. Da der Hamburger Senat nicht bereit ist, eine Fahrspur für den Radverkehr zu opfern, wird erst ein Neubau der Brücke mehr Platz schaffen.

Zurück zu unserer Radtour: Dirk Lau ist mittlerweile vom Rad abgestiegen und schiebt es über die Max-Brauer-Allee, die unter der Sternbrücke die Stresemannstraße kreuzt. Auf der Straße, bei den graffitibeschmierten Pfeilern, quetscht sich eine junge Frau mit Kinderwagen und einem Roller fahrenden Kleinkind an der Seite an uns vorbei. Zwei Schuljungs wackeln auf ihren Mountainbikes über die Straße, rollen dann auf den Bürgersteig, der hier von einem Gerüst teils versperrt ist, und balancieren haarscharf auf ihren Zweirädern an der Gehwegkante entlang, um die Frau samt Kind zu überholen.

Es ist einer der Momente, die Dirk Lau sprachlos machen. „Das ist eine typischen Alltagssituation hier“, murmelt er und steigt wieder aufs Rad. Wir schleichen im Schritttempo über den Bürgersteig, denn hier lauert eine neue Gefahr: Aus den zahlreichen Hauseingängen, die auf den Gehsteig münden, können jederzeit unachtsame Bewohnerinnen und Bewohner herauskommen. 

Während nebenan der Autoverkehr vierspurig mit Tempo 30 kriecht, müssen Radfahrende solche Slalomtouren auf dem Fußweg veranstalten. Auch, wenn hier kein Radweg erkennbar ist, gilt auf diesem Abschnitt eine Radwegebenutzungspflicht.
Christian Hinkelmann Während nebenan der Autoverkehr vierspurig mit Tempo 30 kriecht, müssen Radfahrende solche Slalomtouren auf dem Fußweg veranstalten. Auch, wenn hier kein Radweg erkennbar ist, gilt auf diesem Abschnitt eine Radwegbenutzungspflicht.

Stresemannstraße hat laut ADFC ein Gerechtigkeitsproblem

Hier wird besonders deutlich: Die Stresemannstraße hat wegen ihrer vier Kfz-Streifen und der vergleichsweise engen Bebauung ein gewaltiges Platzproblem, bzw. ein „Gerechtigkeitsproblem“, wie es Dirk Lau nennt: „Welche Mobilitätsform bekommt wieviel Fläche zugestanden?“ Der ADFC schlägt als schnell umzusetzende Maßnahme vor, pro Richtung jeweils einen Fahrstreifen in einen Streifen für Radverkehr und Busse umzufunktionieren – wohlwissend, dass es nicht optimal sei, wenn Radfahrende sich eine Spur mit Bussen teilen, so Lau. Angesichts der engen Platzverhältnisse in der Straße und dem starken Verkehrsaufkommen sei derzeit aber nichts anderes schnell politisch durchsetzbar, so seine Sicht auf die Dinge.

Auf dem Weg von der Sternbrücke zum S-Bahnhof Holstenstraße gleicht der Radweg eher einem Hindernisparcours.
Christian Hinkelmann Auf dem Weg von der Sternbrücke zum S-Bahnhof Holstenstraße gleicht der Radweg eher einem Hindernisparcours.

Auf dem nächsten Abschnitt bis zur Neuen Flora radeln wir auf Handtuchbreite. Vor dem Theater, direkt am S-Bahnhof Holstenstraße, liegt eine Bushaltestelle. Just, als wir diese passieren wollen, kommt der Metrobus 3 und spuckt mehr als 20 Fahrgäste aus, die vor unsere Räder laufen. Wir stoppen, neben uns dröhnt der Verkehr. Es nervt!

Besonders gefährlich sind die Bushaltestellen am Bahnhof Holstenstraße. Die Radwege laufen auf beiden Straßenseiten direkt über die Haltestellen und sind meist von wartenden HVV-Fahrgästen blockiert.
Christian Hinkelmann Besonders gefährlich sind die Bushaltestellen am Bahnhof Holstenstraße. Die Radwege laufen auf beiden Straßenseiten direkt über die Haltestellen und sind meist von wartenden HVV-Fahrgästen blockiert.
Kaum Platz: Auf großen Teilen der Stresemannstraße gibt es gar keine Radwege. Radfahrende müssen sich mit Fußgängern auf engstem Raum quetschen.
Christian Hinkelmann Kaum Platz: Auf großen Teilen der Stresemannstraße gibt es gar keine Radwege. Radfahrende müssen sich mit Fußgängern auf engstem Raum quetschen.

Weiter geht es – wieder ohne eigenen Radweg, auf einem superschmalen Fußweg, eingequetscht zwischen Schwerlastverkehr und Hauseingängen.

Kurz vor der nächsten Kreuzung mit der Kieler Straße werden wir plötzlich vom Fußweg auf die Fahrbahn geleitet und befinden uns nun auf einer kurzen Radfahrspur, die allerdings nur 30 Meter lang ist. Dirk Lau hält an und beobachtet die Ampelschaltung. Die Ampel schaltet auf Grün sowohl für rechtsabbiegende Autos als auch den Geradeausverkehr. „Diese Ampelschaltung ist, zynisch gesagt, ein Klassiker für Unfälle mit Radfahrenden“, sagt Lau. Denn die rechtsabbiegenden Autos führen oft mit Verve an und übersähen andere Verkehrsteilnehmer. 2014 starb an dieser Kreuzung ein Radfahrer, der von einem rechtsabbiegenden LKW erfasst worden war. Wie es der Zufall will, hat 500 Meter weiter an der Kreuzung zur Harkortstraße ein Steinmetz sein Geschäft, seine Grabsteine stellt er draußen zur Ansicht auf. Die Autos rasen vorüber.

Einer der wenigen modernen Radwegabschnitte: Kurz vor der Kieler Straße wird der Radverkehr plötzlich auf die Fahrbahn geleitet. Hinter der Ampel endet der Radweg allerdings im Schotter.
Christian Hinkelmann Einer der wenigen modernen Radwegabschnitte: Kurz vor der Kieler Straße wird der Radverkehr plötzlich auf die Fahrbahn geleitet. Hinter der Ampel endet der Radweg allerdings im Schotter.

„Wir fordern ein generelles Tempolimit für die komplette Stresemannstraße als Sofortmaßnahme“, sagt Dirk Lau mehrmals auf dieser Tour (die Standpunkte sind hier nachzulesen). Damit hat der Club sogar die Weltgesundheitsorganisation auf seiner Seite. Erst im vergangenen Mai forderte die WHO ein generelles Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften – unter anderem deshalb, weil es die Verkehrssicherheit erhöhe (siehe hier und hier).

Doch trotz der Expertise internationaler Verkehrsexperten lehnt die zuständige Dienststelle der Hamburger Polizei eine Ausweitung des Tempolimits auf der Strese ab. Auf meine Nachfrage erklärte mir die Polizeipressestelle per Mail: „Die Stresemannstraße ist eine wesentliche Ost-West-Verbindung für den Fahrzeugverkehr und täglich, auch durch Schwerlastverkehr, hoch belastet. Nach Einschätzung der polizeilichen Fachdienststelle würde eine Geschwindigkeitsreduzierung die Gefährdung von Radfahrern nicht herabsetzen“.

Und plötzlich ist da nur noch eine Schotterpiste

Die Ampel springt auf Grün. Dirk Lau und ich radeln weiter. Die nächste Überraschung wartet schon auf uns: Nachdem wir eben noch für 30 Meter auf die Fahrbahn geleitet wurden, geht es nach der Kreuzung wieder zurück auf den Bürgersteig – und hier verliert sich die Spur des Radwegs plötzlich. Vor uns liegt nur noch eine Schotterpiste, bei der nicht wirklich ersichtlich ist, ob es sich dabei um einen Fußweg, Radweg oder keines von beidem handelt.

Neben der Schotterpiste steht ein vor rund anderthalb Jahren fertiggestellter Neubau. Das Verrückte daran: Die Fläche vor dem Gebäude scheint breit genug für einen Radweg. Offenbar hat man es bis heute nicht geschafft, ihn einfach zu bauen. Auch hierzu frage ich später bei der Polizei und der Verkehrsbehörde nach. Während die Verkehrsbehörde auf den Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer verweist und dessen Absicht, eine Instandsetzung vorhandener Radwege zu prüfen, sagt die Polizei, dass die Stelle zu schmal sei für einen separierten Radweg. Beide Antworten klingen entmutigend. Hat hier eigentlich irgendjemand einen Plan?

Verkehrsbehörde: Strese ist keine Fahrrad-Hauptroute

Immer wieder überholen uns andere Radfahrende. Dirk Lau weiß aus eigener Erfahrung, dass diese Strecke eine wichtige Fahrrad-Verbindungsroute ist, wohnt er doch selbst auf St. Pauli und muss hier oft lang Richtung Volkspark. Auch davon will man in der Verkehrsbehörde offensichtlich wenig wissen. Für deren Planer ist die Stresemannstraße „nicht Bestandteil einer Fahrrad-Hauptroute“. Darüber hinaus verweist sie auf die Veloroute 1, die Radfahrende gen Westen leite. Das Problem dabei ist: Diese Route verläuft weit weg von der Strese über den Bahnhof Altona, was einen Umweg von mehreren Kilometern bedeuten kann – je nach Start und Zielpunkt (hier Routenverlauf sehen). 

Mit Galgenhumor verweist Dirk Lau nun darauf, dass die gefährlichste Stelle an der Stresemannstraße noch vor uns liege: der kaum zwei Meter breite Weg für zu Fuß Gehende und Radlerinnen unter der Bahnbrücke hinter dem Kaltenkircher Platz. Dort käme es häufig zu Alleinunfällen, weil Radfahrende, wenn sie Fußgängern ausweichen, mit dem Lenker das Gitter touchieren und es dunkel und glitschig sei. Eine gefährliche, dreckige und dunkle Passage, die für mich tatsächlich den traurigen Höhepunkt und gleichzeitig das Ende unserer Radtour markiert.

Dunkles Loch: Auf diesem schmalen Weg unter den Bahnbrücken am Kaltenkircher Platz müssen Fußgänger und Radfahrende gemeinsam mit weniger als 2 Metern Breite klar kommen.
Christian Hinkelmann Dunkles Loch: Auf diesem schmalen Weg unter den Bahnbrücken am Kaltenkircher Platz müssen Fußgänger und Radfahrende gemeinsam mit weniger als 2 Metern Breite klar kommen.
Keine Änderung in Sicht: Radfahrer und Fußgänger müssen sich weiterhin enge gemeinsame Wege an der vierspurigen Stresemannstraße teilen.
Christian Hinkelmann Keine Änderung in Sicht: Radfahrer und Fußgänger müssen sich weiterhin enge gemeinsame Wege an der vierspurigen Stresemannstraße teilen.

Auf dem Rückweg ins Schanzenviertel fahren wir hochkonzentriert. Schmale Gehwege ohne Radspur, Bushaltestellen ohne Radweg davor, ungesicherte Baustellen und mit Schlaglöchern übersäte, von sich wölbenden Platten zerstörte Radwege. Nein, eine Fahrradstadt ist Hamburg auf dieser Magistrale wahrlich nicht.

Wo ist hier der Radweg? Zwischen Sternbrücke und Neuem Pferdemarkt geht es für Radfahrende und den Fußgängerverkehr dicht an Hauseingängen vorbei.
Christian Hinkelmann Wo ist hier der Radweg? Zwischen Sternbrücke und Neuem Pferdemarkt geht es für Radfahrende und den Fußgängerverkehr dicht an Hauseingängen vorbei.
Radleralltag auf der Stresemannstraße in der selbsternannten Fahrradstadt Hamburg.
Christian Hinkelmann Radleralltag auf der Stresemannstraße in der selbsternannten Fahrradstadt Hamburg.

Verkehrsbehörde sieht Handlungsbedarf – aber wird nicht konkret

Was dagegen tun? Es gibt eine Minimalforderung des ADFC und die heißt: Erarbeitet endlich ein modernes, nachhaltiges Radverkehrs-Gesamtkonzept für die Stresemannstraße.

Immerhin, auch die Verkehrsbehörde sieht „Handlungsbedarf bezüglich der Radverkehrsinfrastruktur sowie der Aufteilung der Verkehrsflächen“. Das teilt sie mir nach mehrmaligem Nachfragen hinsichtlich der Zustände an der Stresemannstraße mit. Doch weder ein Zeitraum noch konkrete Maßnahmen wollte die Behörde nennen. Es klingt, als ob es noch Jahre dauern soll, bis Radfahren auf der Stresemannstraße sicher wird.

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Der Kopf hinter diesem Artikel

Katrin Wienefeld arbeitet als freiberufliche Journalistin in Hamburg. Sie kennt ihre Heimatstadt als Autorin von Stadtführern aus dem Effeff, schreibt außer über Mobilität und Stadtplanung viel für evangelische Medien und würde nur aus einem Grund auf ihr geliebtes Fahrrad als Fortbewegungsmittel verzichten: Wenn es möglich wäre, durch Alster, Elbe und Bille von A nach B zu schwimmen.

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6 Antworten auf „Was die Stresemannstraße für Radfahrende so gefährlich macht“

Nun hat das Verwaltungsgericht Hamburg gesprochen und die Klage eines Radfahrers gehen die Benutzungspflicht abgelehnt.

https://justiz.hamburg.de/resource/blob/661940/dfb015bfd9badfc2e1b4469e61b44816/5-k-3154-18-urteil-vom-02-02-2023-data.pdf

Wieder mal die 5. Kammer, ein seit Jahren erprobter Klagetot, fast stärker an der Seite der Verwaltung als jedes russische Gericht. Dabei denke ich, dass die Richter nicht böswillig, aber einfach komplett ahnungslos sind. Sie wissen nicht, wie mit Ermessensentscheidungen umzugehen ist, und fangen an, selbst Ermessen auszuüben, anstatt lax zu sagen: „Das macht die Verwaltung noch einmal“. Sie haben keine Ahnung, wie eine Abwägung zwischen mehreren gefährlichen Varianten der Verkehrsführung vorgenommen werden müsste. Und die Tatsache, dass hinter dem Schild Z 241 nicht einmal durchgängig eine Fläche zum gefahrlosen Radfahren existiert, wenn man die effektive Breite eines Fahrradfahrers, der die Spur aus physikalischen Gründen nicht genau halten kann, berücksichtigt, wird gleich ganz ignoriert. Die Klage hätte man vor fast jeder deutschen Kammer eines VG gewonnen – außer bei der 5. Kammer des VG Hamburg, die fast jeden Graben als Radweg akzeptiert.

Sobald mal ein älterer Fußgänger totgefahren, wird man wieder auf den Rüpelradlern rumhacken. Aber Rechtsabbiegeropfer sind halt auch vorprogrammiert.

Also ich hole wieder meinen Anhänger raus und fahre ganz legal auf der Fahrbahn – mit 10 km/h!

Das ist das wahre gesicht der „Fahrradstadt“ Hamburg – mehr Fake als Fahrrad!

Eine Radwegbenutzungspflicht setzt eigentlich einen Radweg voraus. Das könnte man also schon einmal vor Gericht bringen. Die Legende von der Gefährlichkeit glauben die Sachbearbeiter bei der Polizei doch selbst nicht mehr. Die klopfen sich doch vor lachen auf die Schenkel, wenn sie ihre Antworten rausschicken. Aber ehrlicherweise muss man sagen, dass einfacher ist, sich über das Verbot zumindest im 30 km/h-Bereich hinwegzusetzen. Passieren tut nix, wenn man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält oder unbekannt ist.

Die Reaktion der Polizei ist mal wieder ein großartiges Beispiel dafür, dass wir Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts benötigen. Mit Argumenten für deutlich weitere lokale Beschränkungen kommt man offensichtlich kaum weiter.

Schöner Bericht, den ich absolut bestätigen kann, die Strese ist sowohl als Radfahrer als auch als Fußgänger eine Zumutung…
Das Argument mit den Velorouten zeigt mal wieder schön, dass in der Verkehrsbehörde offenbar keiner rafft, dass die Velorouten nur Langstreckenradelnen nützen und für Leute, die nur mal eben ein, zwei Kilometer weiter wollten, völlig irrelevant sind. Trotzdem will man auch auf kurzen Strecken keine Fußgänger anfahren oder unter dem LKW landen. Dreiste Forderung, ich weiß ^^

Ein weiterer Ansatz für die Stresemannstraße wäre, neben der schon erwähnten Bus/Radspur + Tempo 30, das der Schwerlastverkehr nur die linke der beiden Fahrspuren nutzen darf. Das ist meines Wissens schon dort angeordnet, wo die Kinder getötet wurden.
Es gibt für die Strese keine ausbaufähige Nebenstrecke, der Verweis der Behörde auf die Veloroute 1 ist einfach nur eine absolute Unverschämheit.

das Bsp Stresemannstrasse zeigt ja auch, daß man in Hamburg bei den bestimmenden Gruppen keine Verkehrswende will. 1991 wurden Teile der Stresemannstrasse zweispurig und auf 30km/h beschränkt, das wurde dann 10 Jahre später glaube ich wieder aufgehoben. Und seitdem: NICHTS also mehr als 20 Jahre Untätigkeit.
Die einzige Kritik, die man an dem Beitrag haben könnte, das er mit den Verantwortlichen viel zu höflich umgeht.
Was sich in der Stresemannstrasse abspielt, stellt für mich schon fast eine versuchte Körperverletzung da an Fußgängern und auch Radfahren und warum: Weil der Verkehrssenator einfach nicht weiß, wie er sich gegenüber den Autofahrerunterstützern in der Innenbehörde durchsetzen soll.

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