Diesen Text schenken wir Ihnen. Normalerweise sind unsere Berichte kostenpflichtig. Hier können Sie unsere Arbeit per Abo unterstützen.
Wie sind die Menschen in Deutschland unterwegs? Welche Wege machen Sie im Alltag? Was für Verkehrsmittel nutzen sie dabei? Und aus welchen Anlässen sind sie überhaupt unterwegs?
Diese Fragen versucht alle paar Jahre eine großangelegte Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums zu beantworten. Mobilität in Deutschland (MiD) heißt sie. In der Verkehrspolitik und Mobilitätsbranche ist sie eine der wichtigsten Untersuchungen überhaupt.
Vor wenigen Tagen wurden in Berlin aktuelle Zahlen aus dieser Reihe veröffentlicht. Mehr als 420.000 Menschen im ganzen Land sind dazu im Jahr 2023 befragt und mehr als eine Million zurückgelegte Wege an einem Stichtag untersucht worden. Ein Riesenaufwand. Allein die Kurzfassung des Endberichts ist 36 eng beschriebene Seiten lang.
Die Daten waren in der Fachwelt mit großer Spannung erwartet worden, denn seit der letzten Erhebung im Jahr 2017 ist die Welt komplett durchgeschüttelt worden: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, eine krasse Inflation und eine Revolution im öffentlichen Nahverkehr durch das Deutschlandticket. Nie zuvor hat es zwischen zwei Datenveröffentlichungen so fundamentale Veränderungen gegeben.
Umso erstaunlicher sind die Ergebnisse: Das Mobilitätsverhalten der Menschen in Deutschland hat sich seit 2017 insgesamt kaum verändert. Die Verkehrswende kommt deutschlandweit nur sehr langsam voran. Daran haben auch die zwischenzeitlichen Verwerfungen durch Corona nicht geändert.
Doch wie sieht die Lage speziell in Hamburg aus – in der Stadt, die sich beim Thema Verkehrswende in den vergangenen fünf Jahren stark reingekniet hat? Haben die vielen Bemühungen vielleicht mehr gebracht als in anderen Städten?
NAHVERKEHR HAMBURG hat die Ergebnisse analysiert und gibt Antworten.
Hamburger sind weniger und kürzer unterwegs
Schaut man sich in der bundesweiten Studie „Mobilität in Deutschland 2023“ die Ergebnisse für Hamburg genauer an, stechen zwei zentrale Entwicklungen hervor:
- Die Hamburgerinnen und Hamburger sind heute deutlich weniger unterwegs als vor der Corona-Pandemie – und sie legen im Alltag auch kürzere Wege zurück.
- Den größten Rückgang verzeichnet der Autoverkehr. Umweltfreundliche Verkehrsarten wie Bus und Bahn, Fahrrad und Fußwege konnten davon aber nur bedingt profitieren.
Auto ist in Hamburg stark auf dem Rückzug
Im Detail: Das Auto ist den Zahlen zufolge in Hamburg – tatsächlich sehr viel stärker auf dem Rückzug als im Rest der Republik. Während die Personenkilometerzahl im Hamburger Autoverkehr zwischen 2017 und 2023 um fast 22 Prozent gesunken ist, lag das Minus bundesweit nur bei rund 8 Prozent.
Die Menschen in Hamburg fahren aber nicht nur deutlich weniger Kilometer mit dem Auto als früher – sie nutzen es auch seltener. Der Anteil der Wege am Gesamtverkehr ging ebenfalls deutlich zurück. Und zwar um sieben Prozentpunkte. Das ist fast doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt und auch mehr als der Durchschnitt aller deutschen Metropolen. Allerdings: In Berlin hat der Autoverkehr noch größere Anteile am Gesamtverkehr verloren als in Hamburg.
Spannend ist, dass die umweltfreundlichen Verkehrsarten in Hamburg von dieser Entwicklung relativ wenig profitieren konnten. In tatsächlich gefahrenen Kilometern pro Person haben der öffentliche Nahverkehr und der Fußverkehr nur minimal zugelegt, der Radverkehr stagnierte sogar zwischen 2017 und 2023. Lediglich bei den Anteilen aller zurückgelegten Wege (Modal-Split) konnten ÖPNV-, Rad- und Fußverkehr in Hamburg zulegen, was aber eben nicht daran liegt, dass sie wesentlich mehr genutzt wurden. Ihr Anteil am Gesamtverkehr ist lediglich gestiegen, weil das Auto deutlich weniger genutzt wird und die Menschen in Hamburg insgesamt weniger unterwegs sind. Letztlich ist es also überwiegend ein rechnerischer Effekt.
Allerdings darf hierbei nicht vergessen werden, dass vor allem der ÖPNV unter der Corona-Pandemie extrem gelitten hat und allein die jetzt erreichten Werte schon ein Riesenerfolg sind.
Und: Die Anteile der umweltfreundlichen Verkehrsarten am Gesamtverkehr in Hamburg sind durchweg stärker gestiegen als im Bundesdurchschnitt, in dem der Auto- und Gesamtverkehr ebenfalls verlor. Das bedeutet: Hamburg kommt bei der Transformation des Verkehrs zu umweltfreundlicheren Fortbewegungsarten besser weg als der Bundesdurchschnitt und auch besser als der Schnitt aller deutschen Metropolen. Nur ein Beispiel: Während der Radverkehrsanteil am Hamburger Gesamtverkehr seit 2017 immerhin um einen Prozentpunkt gestiegen ist, stagnierte er im Durchschnitt aller Metropolen. In Berlin ging er sogar um einen Prozentpunkt zurück.
Gruppe der Auto-Power-User hat sich verkleinert
Spannend ist auch ein Blick darauf, von welchen Menschen der insgesamt abgenommene Verkehr in Hamburg hauptsächlich stammt. Es sind laut der Studie vorwiegend die Pkw-orientierten Menschen, die täglich unterwegs sind. Diese Gruppe hat sich deutlich verkleinert – von 24 auf nur noch 20 Prozent. Aber auch die ÖPNV-orientierten Menschen in Hamburg sind weniger geworden. 2017 waren es noch 33 Prozent aller mobilen Menschen, 2023 nur noch 30. Gewachsen sind dagegen drei Gruppen: Wenig mobile Menschen (+2 Prozent), Fahrrad-Orientierte (+3 Prozent) und Menschen, die mehrere Verkehrsmittel gemischt nutzen (+4 Prozent). Die Förderung der Intermodalität durch den Hamburger Senat (beispielsweise durch Switch), scheint also Früchte zu tragen.
Es gibt keinen eindeutigen Hauptgrund für weniger Mobilität
Bei den Gründen, warum die Menschen bundesweit insgesamt weniger unterwegs sind, bleiben die Autorinnen und Autoren der Studie unkonkret. „Dies hat mit Arbeits-, Versorgungs- und Freizeittrends zu tun“, heißt es recht allgemein formuliert im Abschlussbericht. Neben dem Trend zum Homeoffice und Online-Shopping und weiteren Online-Aktivitäten zählen sie auch eine sich wandelnde Altersstruktur als mögliche Ursache auf und ziehen das Fazit: „Zur Erklärung herangezogen werden muss also ein Bündel verschiedener, mitunter gegenläufiger Einflussfaktoren. Eindimensionale Schlussfolgerungen führen eher in die Irre.“
Kaum Veränderung im Hamburger Umland
Und noch ein kurzer Blick in den Hamburger Speckgürtel: Dort ist die Verkehrswende laut den Studienergebnissen so gut wie gar nicht sichtbar. Der Anteil des Autoverkehrs am Gesamtverkehr hat im HVV-Umland seit 2017 quasi gar nicht verloren, die Anteile von Radverkehr und ÖPNV stagnieren trotz Deutschlandticket. Nur der Fußverkehr konnte zulegen.
Was die Zahlen für Hamburg bedeuten
Hamburg kommt der Verkehrswende schneller näher als das restliche Deutschland. Das ist ein Erfolg. Aber der Preis dafür ist hoch. Angesichts der massiv gestiegenen Investitionen in die Verkehrswende (zu der auch das Deutschlandticket gehört), ist das nachhaltige Veränderungstempo in der Realität bislang eher verhalten. Die Veränderung von Mobilitätsgewohnheiten im Alltag ist offensichtlich ein sehr langfristiger Prozess. Daran hat auch die Corona-Pandemie nichts geändert.
Zwar ist der Anteil des Fußverkehrs mit aktuell über 30 Prozent bereits heute höher als vom Senat langfristig angepeilt (20 bis 25 Prozent) – doch das erklärte Ziel, den Autoverkehrsanteil bis 2030 auf 20 Prozent zu senken und gleichzeitig den ÖPNV- und Radverkehr jeweils auf 25 bis 30 Prozent auszubauen, bleibt ein sportliches Vorhaben. Mit dem aktuellen Tempo dürfte das kaum zu erreichen sein. Bedeutet: Will der Senat seine Ziele noch erreichen, wird er in seinen Bemühungen noch mindestens eine Schippe drauflegen müssen.
Für die Verantwortlichen der Stadt Hamburg ergeben sich aus den Zahlen spannende Fragen: Was genau sind die Auslöser für den allgemeinen Verkehrsrückgang und mit welchen Maßnahmen ließe sich dieser Effekt noch gezielter beschleunigen? Warum hat der Radverkehr in gefahrenen Personenkilometern trotz hoher Investitionen ins Radverkehrsnetz offenbar nicht zugenommen? Wie kann der ÖPNV neben dem Deutschlandticket und dem laufenden HVV-Netzausbau mit günstigeren, schnelleren und effizienteren Maßnahmen schnell noch attraktiver gemacht werden? Und wie lässt sich der deutliche Rückgang des Autoverkehrs nutzen, um nicht nur einen relativen, sondern auch einen absoluten Anstieg der Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel zu erzielen?
2 Antworten auf „Mobilitätsstudie: Verkehrswende in Hamburg kommt voran – aber nur langsam“
In meiner „privatempirischen“ Wahrnehmung hat der Radverkehr stark zugenommen, ich wundere mich deshalb über die Aussage hinsichtlich der absoluten Zahlen.
Das Fazit könnte man auch kürzer fassen: Die Bemühungen um eine „Verkehrswende“ haben gar nichts gebracht. Und das hat auch einen Grund: Radfahren, Autofahren und die Nutzung vom ÖPNV sind mehr, als sich nur von A nach B zu beamen. Wir können es nicht vergleichen mit zwei unterschiedlichen Pillen, die dieselbe Wirkung haben und damit austauschbar sind. Die Fortbewegung beansprucht einen bedeutenden Teil unserer Lebenszeit, und je nach Verkehrsmittel gestaltet sich diese Zeit vollkommen unterschiedlich. Die Wahl des Verkehrsmittels ist also auch ganz wesentlich eine Frage der persönlichen Vorliebe bzw. Geschmackssache. Und bekanntlich sind nicht alle Menschen gleich!