“Ja, wir hatten in diesem Jahr einen schlechten Lauf”, gestand Hamburgs S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke gestern gleich zu Beginn bei einem Krisentreffen mit Journalisten unumwunden ein.
Verkehrssenator Michael Hagemann hatte dazu in seine Behörde eingeladen, nachdem die S-Bahn in den vergangenen Monaten immer wieder mit Pannen und Ausfällen für Ärger gesorgt hatte – zuletzt am vergangenen Dienstag, als eine Weichenstörung in Harburg und eine Vollsperrung des Innenstadttunnels quasi den kompletten S-Bahnverkehr in Hamburg lahm gelegt hatten – mitten im Berufsverkehr (siehe hier).
“Das, was am Dienstag passiert ist, sollte nicht passieren”, so Arnecke weiter. Verkehrssenator Westhagemann sah die Sache ähnlich: “Das sind dann so Situationen, bei denen man sagen muss: Wenn schon was schief läuft, dann auch gleich richtig.”
S-Bahn liegt seit Jahresbeginn unter den HVV-Pünktlichkeitszielen
Doch es sind nicht nur solche einzelnen Tage, die der S-Bahn die Pünktlichkeitsstatistik vermiesen: Auch auf langer Strecke performt das Bahnunternehmen schlecht: Seit Jahresbeginn wurde das vom HVV geforderte Pünktlichkeitsziel von 94 Prozent nicht einmal erreicht – obwohl der HVV großzügigerweise auch noch S-Bahnen als pünktlich wertet, die bis zu 3 Minuten zu spät sind und obwohl der HVV sein Pünktlichkeitsziel in diesem Jahr erstmals um 0,7 Prozentpunkte gesenkt hat. Auf der besonders pannengeplagten S-Bahn-Strecke nach Bergedorf lag die Pünktlichkeit bislang sogar nur bei 90 Prozent. Damit setzt die S-Bahn eine Talfahrt fort, die bereits seit 2016 andauert, wie ein Blick in die Pünktlichkeitsstatistiken der vergangenen Jahre verrät (siehe Diagramm).
So viele S- und U-Bahnen in Hamburg waren in den vergangenen Jahren pünktlich (in Prozent)
Bahn plant keine Entschädigungen oder Wiedergutmachungen für Fahrgäste
Die Unzufriedenheit der Fahrgäste in sozialen Netzwerken ist inzwischen unübersehbar. Auch NahverkehrHAMBURG bekommt täglich Beschwerden von S-Bahn-Fahrgästen per E-Mail. Stammfahrer monieren, dass sie regelmäßig den vollen Preis für verminderte Leistungen zahlen würden.
Eine Wiedergutmachung, zum Beispiel in Form von Preisnachlässen für regelmäßige und krisengeschüttelte Pendler, ist aber derzeit von der S-Bahn nicht geplant.
Als Hauptgründe für die andauernden Störungen nannte der S-Bahn-Chef gestern zwei Punkte: Einerseits die alte Infrastruktur, wie Gleise, Weichen und Stellwerke, andererseits die neuen S-Bahn-Züge der neuen Baureihe 490, die erst zu spät und dann auch noch fehlerhaft ausgeliefert worden seien, so der S-Bahn-Chef weiter.
Stellwerke aus den 1970er Jahren sind störanfällig
Die ältesten Stellwerke der Hamburger S-Bahn seien rund 100 Jahre alt, viele weitere Stellwerke stammen aus den 1970er Jahren und seien sehr anfällig, ergänzte der Senator, der sich als ehemalige Siemens-Manager mit elektrischen Anlagen durchaus auskennt.
Dazu kämen externe Probleme, für die die Bahn nichts könne, wie zum Beispiel Rettungswageneinsätze, die in den vergangenen Jahren exorbitant angestiegen seien. Die häufigste Störungsursache seien aber inzwischen herumlaufende Menschen auf den Gleisen.
Außerdem sei das Hamburger S-Bahn-Netz mit insgesamt 1.200 Zugfahrten pro Tag insgesamt sehr stark belastet. “Wir bewegen täglich 750.000 Fahrgäste mit unserem S-Bahn-System”, so der Senator. Und es werden immer mehr: Seit dem Jahr 2007 ist die Zahl der Fahrgäste um 30 Prozent gestiegen. Allein auf den S-Bahnsteigen am Hamburger Hauptbahnhof würden täglich 280.000 Menschen ein-, aus- oder umsteigen. Damit sei der Hamburger Hauptbahnhof der meistgenutzte S-Bahnhof Deutschlands.
Verkehrssenator will alle Verantwortlichen an einen runden Tisch holen
Um die aktuellen Probleme bei der Hamburger S-Bahn in den Griff zu bekommen, will der Verkehrssenator ab sofort alle Verantwortlichen regelmäßig an einen runden Tisch holen, um Lösungen zu suchen.
Das erste Treffen auf Vorstandsebene mit den verschiedenen Bahn-Sparten werde noch in diesem Monat stattfinden, so Westhagemann. Damit will der Senator verhindern, dass sich die einzelnen Bereiche der Deutschen Bahn, die jeweils nur für die Haltestellen, die Gleise und den Bahnbetrieb zuständig sind, die Schuld an der Misere gegenseitig zuschieben.
Außerdem sei für den 2. Juli ein Treffen mit dem Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, Ronald Pofalla, geplant, bei dem der Senator auch noch einmal Druck auf die Bahn ausüben möchte, die Modernisierung und den Ausbau der Hamburger S-Bahn mit Priorität voranzutreiben. Derzeit kommt der Ausbau nur äußerst langsam voran, wie eine NahverkehrHAMBURG-Recherche gestern ergeben hatte (siehe hier).
Digitalisierung soll S-Bahn-Betrieb mittelfristig stabiler machen
Eine zentrale Rolle bei der mittelfristigen Lösung der aktuellen S-Bahn-Probleme soll die Digitalisierung der Signale, Weichen, Sicherheitstechnik und Stellwerke bringen. Nur so könnten die Züge in engeren Abständen fahren als heute, was den Betrieb insgesamt stabiler mache. Bis 2021 soll als Pilotprojekt die S-Bahnstrecke nach Bergedorf mit der neuen Technik ausgerüstet werden, der erste Zug wird voraussichtlich schon im kommenden Herbst umgerüstet.
Kurzfristig will die S-Bahn erst einmal per Softwareupdate ihre neuen Züge, von denen bislang 35 Stück ausgeliefert sind, zuverlässiger machen. Außerdem will die Bahn noch einmal mit dem Fahrzeug-Hersteller Bombardier und dem Hersteller der Fahrzeugtüren über die Türsteuerung reden, ob dort noch nachträgliche Verbesserungen möglich sind. Hintergrund: Die Türen entsprechen ganz neuen EU-Normen und bleiben einfach stehen, wenn sie mehrmals hintereinander nicht komplett schließen können – zum Beispiel, weil sie von einem Fahrgast wieder aufgerissen wurden. In so einem Fall muss der Zugfahrer dann zur gestörten Tür laufen und sie händisch wieder in Betrieb nehmen, was viel Zeit kostet. Derzeit sensibilisiert die Bahn ihre Kunden mit Aufklebern, Videos und Hinweisen für die neue Technik.
Informationsmanagement soll verbessert werden
Außerdem will die S-Bahn ihr Informationsmanagement bei Störungen verbessern: Im kommenden Jahr sollen alle 68 Haltestellen neue Anzeigedisplays erhalten, auf denen mehr Informationen dargestellt werden können als heute. Zwei Prototypen sollen bereits in diesem Jahr getestet werden. Darüber hinaus will die S-Bahn ihre Fahrzeuge so umrüsten, dass dort künftig auch Liveansagen direkt aus der Leitstelle über die Lautsprecher gemacht werden können – ähnlich, wie es bei der U-Bahn bereits seit Jahren möglich ist.
Umfassendere Störungsmeldungen in den sozialen Netzwerken seien derzeit nicht geplant, hieß es.
Um das wachsende Problem mit betriebsfremden Personen auf Bahngleisen zu lösen, will die Bahn außerdem noch mehr S-Bahn-Strecken einzäunen und in den Tunnelstationen so genannte Tunnelabschlusstüren installieren, damit möglich niemand mehr von den Bahnsteigen in die Tunnel laufen kann.
Politiker in Hamburg sind mit der S-Bahn unzufrieden
Der CDU in Hamburg gehen all diese Lösungsansätze nicht weit genug. “Bei der Bekämpfung der S-Bahnprobleme ist es allerhöchste Eisenbahn. Fahrgäste, die am Dienstag vergeblich auf ihre S-Bahn gewartet oder gestern in einer hoffnungslos überfüllten S-Bahn stehend vor sich hin geschwitzt haben, können ein Lied davon singen”, so der CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering. “Die Investitionen in Schienen und Technik müssen massiv erhöht werden!”
Die verkehrspolitische Sprecherin der LINKE, Heike Sudmann, betont: „Was die S-Bahn ihren Kunden an Geduld abverlangt, ist unglaublich. Senator Westhagemann tut gut daran, die Daumenschrauben anzuziehen”.
Ähnlich sieht es auch der Grünen-Verkehrsexperte Martin Bill: “So wie es im S-Bahn-Betrieb läuft, kann es nicht weitergehen. Wir müssen uns auf dieses Verkehrsmittel verlassen können.” Wichtig sei nun, dass die verabredeten Maßnahmen nun auch schnell umgesetzt würden. Auch die Kommunikation mit den Fahrgästen müsse verbessert werden.
Der SPD-Politiker und Vorsitzende des Verkehrsausschusses in der hamburgischen Bürgerschaft, Ole Thorben Buschhüter, meint: “Es ist daher gut, dass Verkehrssenator Westhagemann die Deutsche Bahn nun ins Gebet nimmt. Die Digitalisierung der S-Bahn ist dafür ein wichtiger Schritt. Aber auch unabhängig davon sind kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die die Leistungsfähigkeit des S-Bahn-Netzes erhöhen und Störungen vermeiden helfen.” Die Bahn müsse jetzt aber auch liefern.
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Es tut mir leid, dass ich das jetzt schreiben muss, zumal ich dieses Nachrichtenportal sehr gern lese:
Aber wir haben jetzt den fünften Beitrag in Folge, der sich mit den Problemen der S-Bahn befasst, einer Bahn, die im Normalfall oder Fast-Normalfall für die Fahrgäste, die in ihrem Einzugsbereich leben, eine Luxusanbindung mit einem Luxustakt bietet. Vielleicht nicht ganz wie für die Fahrgäste im U-Bahn-Einzugsbereich.
Dagegen wird gerade ein wichtiges Infrastrukturvorhaben für Leute, die zur Zeit keine optimale Bahnanbindung haben, durch eigennützige Interessen kaputt gemacht. Und keinen kümmert’s, dass da was gerade mit Carracho die Wandse runter geht! (siehe mein Post von gestern)
Ergänzend würde ich einen Bericht über die geplante Streichung der IC/ICE-Halte in Harburg begrüßen, zumal der Verkehrssenator da ja bereits erfolgreich intervenierte.
Stichwort Entlasstung oder weitere Belastung des Hbfs und der Harburger S-Bahn. Stichwort Baustellen-Koordination: wäre es da nicht sinnvoller, die Maßnahme zeitgleich mit dem Neubau der Brücke über die Süderelbe zu planen?
Mein Gott wer erträgt denn bitte noch die Sonntagsreden der Politiker? „Man macht jetzt Druck auf die Bahn“ „Die Bahn muss liefern“ und das alles von den Parteien, die wissentlich und in voller Absicht ihrer Lobby Politik folgend die Bahn kaputt gespart haben. Herr Buschüter von der SPD ist dabei noch der scheinheiligste, der sich zwar redlich um die S4 bemüht aber dessen eigene Partei beim Thema Schiene die letzten Jahre versagt hat auf Bundes- und Landesebene. Ich kann es nicht mehr hören. Wäre ernsthaftes Interesse von Seiten der Politik an Lösungen würde man Gelder bereit stellen und sie nicht in die Straße pumpen.
Ausreden ausreden ausreden – und falsche!
“viele weitere Stellwerke stammen aus den 1970er Jahren und seien sehr anfällig” – erstens liegt die Anfälligkeit schon sehr daram wie sie gewartet werden. Und zweitens ist es bei einem größtenteils isoliereten System wie der S-Bahn nun wirklich nicht so schwierig dass alles neuzubauen, Siemes und andere haben da Systeme von der Stange
“Außerdem sei das Hamburger S-Bahn-Netz mit insgesamt 1.200 Zugfahrten pro Tag insgesamt sehr stark belastet.” – sorry, auch nicht mehr als viele andere Metros.
“Damit will der Senator verhindern, dass sich die einzelnen Bereiche der Deutschen Bahn, die jeweils nur für die Haltestellen, die Gleise und den Bahnbetrieb zuständig sind, die Schuld an der Misere gegenseitig zuschieben” – sorry dass Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, warum wird erst jetzt reagiert?
“Der CDU in Hamburg gehen all diese Lösungsansätze nicht weit genug.” – ist das die selbe CDU die in 10 Jahren an der Macht genau Null für Busse und Bahnen getan hat?